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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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gehirnweich –«
    Frau Persenthein drehte das Licht an, verließ das Zimmer und flüchtete in die Kresoldünste der Badezellen, die eben der letzte Krankenkassenpatient verlassen hatte.
    Die Spinne Kathrinchen saß vollgefressen im Winkel und betrachtete die Frau, die mit wilder Energie die Wanne zu schrubben begann und dabei weinte, als wenn sie geschlagen worden wäre …
    Zwanzig Minuten nach elf also wurde an diesem Abend der vollkommen betrunkene Lungaus im Angermannshaus eingeliefert, der Doktor schleppte ihn die Treppen hinauf, und Elisabeth zog ihm Rock und Stiefel aus, bevor sie ihn ins Bett legten. Kurz vor zwölf klingelte es dann nochmals, weil ein junger Arbeitsloser und ein Knecht vom Gut sich nach der Versammlung in Oertchens Gastwirtschaft ziemlich blutig verdroschen hatten und nun gemeinsam erschienen, um verbunden zu werden. Peter Karbon, der schon geschlafen hatte, erwachte von dem Hin und Her im Haus drunten, und zwar erwachte er mit dem Gefühl besonderer Leichte und Annehmlichkeit, so daß er schon lächelte, während er die Augen noch geschlossen hielt. Ein Traum hatte – wie es die Art der Träume manchmal ist – die Distanz zwischen ihm und Elisabeth verkleinert, sie war ihm beim Einschlafen noch eine ziemlich fremde Frau gewesen, jetzt, da er kurz vor Mitternacht erwachte, schien sie ihm vertraut, so als wenn der verschwebende und nicht zu fassende Trauminhalt von einer besonderen Wärme und Verheißung gewesen wäre. ›Verliebt – aber schwer verliebt‹ – dachte er zufrieden, schabte mit den Händen im Dunkeln ein wenig über die gesteppten Ornamente der billigen roten Wolldecke im Persentheinschen Ehebett und schlief wieder ein.
    Indessen trabt unten Doktor Persenthein rund um den Operationsstuhl im Wartezimmer, fährt sich mit beiden Händen in das dünne, helle Haar und hat den bösartigen Ausdruck eines scheuwerdenden Pferdes in seinem langen Gesicht. Die beiden Raufer sind abgefertigt. Sein Kittel hat ein paar Blutspritzer abgekriegt, er wartet auf heißes Wasser, nachts funktioniert das alles schlechter, und inzwischen raucht er eine billige Zigarette tief in die Lungen hinein.
    »Bist du denn nicht müde, Kola?« fragt Elisabeth, die mit einem Kissen unter dem Arm erscheint, um auf der Wachstuchchaiselongue für ihn aufzubetten. Sie hat das verweinte Gesicht und das rote Nasenspitzchen einer Botticellischen Madonna und klopft brav das Kissen zurecht, während alles sich anfühlt wie Erdbeben und Einsturz. Seit sie den Kuß bekam, ist es ihr noch keinen Augenblick gelungen, nicht zu zittern. Jeder Gegenstand, den sie anrührt, flattert, klingelt, klirrt, ist in Gefahr. Kola behauptet, nicht müde zu sein – aber wann hätte Kola schon Müdigkeit zugegeben? Er besieht unfreundlich sein provisorisches Bett, das Laken verrutscht immerfort auf dem glatten Wachstuch, und er sagt: »Glaubst du, es ist verlockend, hier zu schlafen?«
    »Du selber willst ja nicht, daß wir ihn – Herrn Karbon – ausquartieren«, antwortete Elisabeth. Bis zum Nachmittag war Karbon gewissermaßen Eigentum des Doktors, sein Patient, für den er Verfügung traf; jetzt mit einemmal fühlt sie sich für ihn verantwortlich. Sie merkt es und erschrickt heiß und mit schlechtem Gewissen.
    »Überhaupt geht alles drunter und drüber«, setzt der Doktor fort. Es ist genau das, was Elisabeth meint und was alle Lohwinckler fühlen: Auflösung, Fieber und Verworrenheit. »Die Sprechstunde ist ausgefallen, sollst mal sehen, was morgen alles anmarschiert kommen wird. In der Fabrik ist was los, morgen werden sie alle anrücken und krank sein wollen, damit sie nicht arbeiten müssen. Und ich sitze hier und komme mit meiner Arbeit nicht weiter – kann ich noch Kaffee bekommen?«
    »O ja, gern«, sagte Elisabeth, was den Doktor flüchtig wunderte. Sie hingegen hätte ihm gern noch sonst was zuliebe getan; weil sie den Kuß noch immer in sich herumtrug als eine unerhörte, einmalige, tief vergiftete Süße. Der Doktor,am Schreibtisch vorbeiwandernd, hakte dort fest an einem halbbeschriebenen Bogen, bedeckt mit seiner großen, fliegenden Schrift. Notizblätter, Kartothekkasten, Zettelkasten, Krankenblätter umkreisten die Arbeit, die seine Nächte auffraß, seine Kraft, seine Gedanken, sein Wesen auffraß. Sein Material war lückenhaft, er wußte es. Im Umgang mit Worten war er unbeholfen und stieß sich den kantigen Schädel an vertrackten Satzbildungen. ›Die Irritation des Wasserhaushaltes in ihrer

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