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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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alles anließ. Elisabeth stand ganz steif vor Angst und starrte auf Doktor Persentheins Stirn. Runzeln – sie zeichnete sie nach, aufwärtsgeschwungen über der rechten, hinabsinkend über der linken Braue – Runzeln – noch nie gesehen – und er war erst fünfunddreißig – mit Markus sprechen – oder mit Karbon sprechen –
    Obwohl Elisabeth gelogen hatte, fing der Doktor einen Teil ihrer unausgesprochenen Gedanken ab, wie das zwischen Eheleuten oft geht.
    »Wir haben wohl allerhand Schulden gemacht, was? Sind wohl hübsch durcheinander gekommen in den letzten Tagen, wie?« fragte er über seine Kaffeetasse weg, und nun schaute er mit seinem zielenden Doktorenblick gerade auf Elisabeth.
    Als Frau Persenthein nachmittags im Badezimmer geweint hatte, vermeinte sie, bis auf den letzten Tropfen leergeschluchzt zu sein; dem war aber nicht so. Unerwartet zeigte sich noch eine Reserve von Tränen vorhanden, und während sie ihre Augen steif auf den Doktor gerichtet hielt, sammelten sie sich, erst als ein Glanz, dann als ein kühles Rinnen unter ihren Wimpern. Der Doktor betrachtete das Phänomen mit leiser Ungeduld. Szenen wegen der Wirtschaftslage und nach Mitternacht waren unerwünscht. Er warf einen gehetzten Blick auf sein Manuskript. »Geh schlafen, Kleines«, sagte er sanftmütig.
    »Jawohl«, flüsterte Elisabeth gehorsam. Er kam zu ihr hinüber, auf die andere Seite des weißen Emaillestuhles mit den Kniestützen und faßte in das glatte Haar an ihrem Nacken. »Ein bißchen viel für dich in den letzten Tagen, nicht?« fragte er. »Die Bücher sind sicher auch nicht geführt?«
    »Doch –«, flüsterte sie; die Bücher hatte sie noch spät abends in Ordnung gebracht, voll von Reue und schlechtem Gewissen.
    »Wo schläfst du eigentlich, seit seine Hoheit das Schlafzimmer okkupiert?« fragte er und begann schon wieder geistesabwesend zu sein. »Bei Rehle in der Kammer«, antwortete sie schon an der Tür. »Arbeite nicht zu lang, Kola –«
    Der Doktor, über seinen Zettelkasten gebückt, runzelte die Stirn. ›In der Kammer?‹ dachte er. ›Wieso denn?‹ Er hatte dunkel die Vorstellung, daß dort weder Sofa noch Bett noch Platz zum Schlafen sei – aber eine genaue Vorstellung von den Räumen des Hauses besaß er nicht; er gehörte zu den Männern, die nie wissen, was sie essen, welchen Anzug sie tragen und auf welchem Stuhl sie sitzen.
    »Morgen wird Herr Karbon hinausgesetzt. Wir sind hier keine Klinik«, sagte er plötzlich. Elisabeth blieb in der Tür stehen.
    »Gut«, sagte sie eine Sekunde später. Daß Karbon mit einemmal nicht mehr da sein sollte, tat miserabel weh in der Kehle und war ein Gedanke von blanker, kohlschwarzer Hoffnungslosigkeit.
    »Er kann aufs Gut zu den Raitzolds, das ist besser«, sagte der Doktor.
    »Ja. Das ist besser«, wiederholte Elisabeth.
    »Da kann er mit seiner Schauspielerin poussieren; wird beiden gut tun«, setzte der Doktor fort. Daraufhin verstummte Elisabeth. Sie würgte etwas Scharfes, Brennendes, Bitteres hinunter. Da sie noch nie eifersüchtig gewesen war, erkannte sie es nicht. ›Die Flasche mit der Sublimatlösung ist schon wieder leer‹, dachte sie. Sie ging hin, ließ Wasser hineinrinnen, nahm die Schachtel mit den Sublimatpastillen und warf sechs der rötlichen Dinger in die Lösung. Sie mußte irgend etwas unternehmen, um über den grellen Augenblick wegzukommen. ›Das geht mich doch nichts an, das geht mich doch nichts an, das geht mich doch nichts an –‹, dachte sie dazu.
    »Kann ich jetzt Ruhe haben?« fragte der Doktor, schon über seiner Arbeit, nicht unfreundlich.
    »Wenn es meinetwegen ist, kann er auch noch hierbleiben. Mir macht es nichts«, sagte Elisabeth schließlich. Der Doktor drehte sich um und schaute sie an. ›Muß wieder mal ihre Lungenspitzen untersuchen‹, dachte er angesichts des fieberhaften Glanzes in ihrem Wesen. Sie stand noch da. »Ich meine – wenn es bei Raitzolds Schwierigkeiten macht – ich pflege ihn gern –«, sagte sie noch. Er schaute sie lächelnd an. »Genau wie das Rehle. Kranke Puppen pflegen. Na – gute Nacht«, sagte er, und diesmal wendete er sich endgültig von ihr ab und der Versuchsperson mit dem Wasserhaushalt und der unkontrollierbaren Hautatmung zu.
    Die Frau, draußen in der Diele, nahm den Treppenpfosten in die Arme wie etwas Lebendiges. Das abgeschliffene Holz war gut zu ihrer Wange und gut zu ihrer Hand. Manchmal war man so mutterseelenallein auf der Welt, daß man bei den Dingen

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