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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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störenden Beeinflussung durch unkontrollierbaren Ausgleich der Hautatmung ist an der Versuchsperson so erprobt worden, daß meßbare Werte erreicht wurden‹, las er. Schön war das nicht. Er strich es durch mit einem dicken, kratzigen Strich. Elisabeth kam aus der Küche zurück mit der Kaffeemühle, die sie geduldig zwischen die Knie nahm. Ihre Schultern sanken ein wenig vor dabei, der Doktor schaute sie an, sah sie aber nicht. ›Die Proben, die auf Grund vorangegangener Versuche an der Versuchsperson gemacht wurden, zeigten, daß die Hautatmung –‹, dachte er. »Kola!« rief Elisabeth ihn leise an. Sie hatte zuweilen das Gefühl, durchscheinend wie ein Gespenst zu werden, wenn er so durch sie hindurch auf die Wände starrte. Heute empfand sie etwas wie Erbitterung. Unter solchen Blicken blieb einer Frau nichts übrig als einzutrocknen und abzuwelken, und das war nicht so selbstverständlich, wie es bisher erschienen war. Heilige Maria, Mutter Gottes, sie spürte es ja, daß sie auch blühen konnte –
    Die Kaffeemühle knarrt, der Kaffeeduft steigt auf, der Doktor hat sein Wasser heiß bekommen und wäscht sich die Hände.
    »Dieses Stinktier – dieser Lungaus –«, sagt er wütend. »Diese Kaninchen – da saufen sie, da kommen sie an mit ihren verdreckten Schädeln, und wenn sie nachher eine Sepsis kriegen, bin ich's gewesen.« Er riß das Fenster auf, die Nacht schlug mit einer scharfen Kälte herein. »Frost – bin nur neugierig, was es morgen gibt!« sagte er, weiterwandernd. Elisabeth kam und ging, die Kaffeetasse klirrte. Daß Lungaus sich betrunken hatte, war eine Katastrophe; sie hatte es nicht gleich und nicht ganz begriffen. Wichtigere Dinge waren heute geschehen und hatten sich zwischen sie und die Ordnung im Angermannshaus geschoben. »Kränk dich nicht«, sagte sie mechanisch. Aber noch während sie es sagte, empfand sie Widersetzlichkeit gegen ihr Mitleid. ›Was geht mich dieser Lungaus an? Wie komme ich dazu, seinetwegen Kummer und Verdruß zu haben?‹ dachte sie. Gespürt, als unbegriffene Last gespürt, hatte sie das schon früher zuweilen. Nun wußte sie es plötzlich und sehr klar. Sie schaute um sich herum, ihre Lidränder brannten noch zart vom Weinen, und eine Kühle säumte sie ein, als lägen noch Tränen dort. Sie schaute sehnsüchtig auf Kolas Schulter hinüber, sie wünschte sehr, den Kopf dorthin zu legen und zur Ruhe zu kommen. Aber Kola gefiel ihr jetzt nicht, er gefiel ihr gar nicht. Sie nahm den weißen Eimer mit den blutgetränkten Wattetupfern und trug ihn hinaus. ›Man ist verflucht allein, wenn es darauf ankommt‹, dachte sie. ›Der Doktor, kaum daß die Frau das Zimmer verlassen hatte, sank in sich zusammen –, durch unkontrollierbaren Ausgleich der Hautatmung ist an der Versuchsperson so erprobt worden –‹Nun und was weiter? Wenn die Versuchsperson hinging und sich besoff wie ein Schwein – er hatte es satt, er hatte es so unbeschreiblich satt, er war müde, müde, müde. Kränk dich nicht, Kola. Du sollst schlafen gehen, Kola. Du sollst nicht so viel rauchen, Kola. Mehr wußten Weiber eben nicht. Macht einer Frau einmal begreiflich, was ein Mann und seine Idee bedeutet …
    Der Doktor schloß das Fenster, er hustete und rauchte schnell den Husten in die Lungen hinunter. Elisabeth kam zurück, mit dem gesäuberten Eimer. Tausendmal hatte sie den Eimer voll mit eiternden und blutigen Abfällen hinaus- und geleert wieder hineingetragen. Heute, zehn Minuten nach Mitternacht, überwacht, überreizt, spürte sie es plötzlich, wie im Traum, als ob sie immerfort, immerfort mit diesem Abfalleimer unterwegs wäre; sie kam über die Schwelle geturnt wie über einen Abgrund, eine plötzlich aufklaffende Gletscherspalte. Dazu blühte an den Wänden ein blumenreiches Tapetenmuster in optimistischen Farben, gut für die Psyche der Lohwinckler Patienten.
    »Ist das Geld abgeschickt?« fragte Doktor Persenthein.
    »Welches Geld?«
    »Die fünfzig Mark für den Pantostat.«
    »Ja«, sagte Elisabeth. Sie hatte nein sagen wollen, aber sie sagte ja. Gleich danach erschrak sie zuinnerst. Gelogen hatte sie noch nicht. Zwar kam es in der Ehe darauf an, zu balancieren, zu verschweigen, in sich zurückzuhalten – verheiratet sein verlangt immer und überall die feinsten Künste der Unaufrichtigkeit zwischen Mensch und Mensch. Aber nun war da die erste dicke, kerzengerade dicke Lüge. Gott allein wußte, wie es danach weitergehen sollte, verstrickt und verwirrt, wie sich

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