Zwischenspiel: Roman (German Edition)
eine Frau, die in nüchternem Zustand niemals zueinander gefunden hätten, von der Laune der Trunkenheit und, sagen wir, einem romantischen Mondlicht getrieben, vereinen sich für eine Nacht, schon haben wir die zufälligen Eltern. Der nächste Zufall ist, ob so ein Spermalein nun sein Ziel findet oder nicht; dann, ob die Mutter, nachdem sie uns empfangen hat, uns auch behalten will, und für den Fall, sie will, mit welchem Erbgut ausgestattet wir dann unser Leben zu bewältigen haben: schön oder hässlich, begabt und klug oder mit Dummheit geschlagen wie die meisten, stark oder schwächlich. Alles nur Zufall. Welch eine demütigende Voraussetzung für ein Leben. Der Tod aber ist ein Ritter, ehrlich und zuverlässig. Für den Tod gibt es keinen Zufall, er lässt niemanden zurück. Und erst im Dunkel des Todes erscheint unser Leben im rechten Licht.
Während seiner Rede hatte Brunos deformiertes Säufergesicht sich wundersam geglättet, das Affenartige war verschwunden, und Bruno sah wieder aus wie damals, als er und Hendrik noch Freunde waren. Ich dachte darüber nach, ob es stimmte, was er gesagt hatte, ob sein Tod uns sein Leben tatsächlich erhellt hatte. Bruno schien meine Gedanken zu kennen. Was wir nach seinem Tod über ihn gesprochen hätten, wollte er wissen.
Ich sagte, wir hätten nach seinem Tod nicht anders über ihn gesprochen als davor. Er sei so lange gestorben, dass wir uns schon zu seinen Lebzeiten mit seinem Tod abgefunden hätten.
Nein, Gnädigste, so leicht kommen Sie nicht davon. Geben Sie zu, ihr wart erleichtert, als ich endlich tot war, als dieses versoffene, gedächtnislose Wrack endlich das Atmen aufgegeben und euch von eurer Schuld erlöst hat. Einmal hat er mich noch besucht, der Profiteur meiner Höhe, in der er anders atmen konnte, ein einziges Mal. Ich war so besoffen, dass ich nicht gerade stehen konnte, aber nicht besoffen genug, um den Ekel in seinem Gesicht nicht zu erkennen. Der Dreck, die Kotze, die herumliegenden Flaschen, der Sabber, der mir von den Lippen triefte, vor allem mein hirnloses, nicht verwertbares Gelalle spiegelte sich in seinen vor Abscheu zuckenden Mundwinkeln und der Verachtung in seinen Augen. Ich nehme an, Gnädigste, das war der Tag, an dem mein Freund mich für tot erklärt hat.
Ich schwieg. Die Freundschaft zwischen Hendrik und Bruno habe ich lange nicht durchschaut. Männerfreundschaften, das hatte ich schon damals herausgefunden, waren von anderer Natur als die Freundschaften zwischen Frauen. Männer brauchten andere Gründe als Zuneigung, bloßes sich Hingezogenfühlen. Alle Männerfreundschaften, die ich kannte, hatten einen benennbaren Nutzen jenseits des Glücks, eine verwandte Seele gefunden zu haben. Meistens verabredeten Hendrik und Bruno sich allein, ohne mich, und oft kam Hendrik nach solchen Treffen so betrunken nach Hause, wie ich ihn sonst nie erlebte. Mir gegenüber war Bruno von altmodischer Höflichkeit, hinter der ich immer Taktik oder Ironie vermutete. Er küsste mir die Hand, machte Komplimente; wenn er uns besuchte, was selten vorkam, brachte er außer einem Einkaufsbeutel voll Bier einen Strauß Alpenveilchen mit, meistens aber, weil es keine Schnittblumen gab, irgendeine Topfpflanze, einmal einen Kaktus. Ich kann nicht sagen, ob ich Bruno jemals nüchtern erlebt habe. Auf jeden Fall hat er unter allen Umständen den Eindruck von Nüchternheit verbergen wollen, als wäre die Trunkenheit sein Tarnmantel, der ihn vor den Zumutungen des banalen Alltags schützen sollte. Hendrik und Bruno hatten in der Oberschule gemeinsam einen kleinen konspirativen Literaturzirkel gegründet, wo sie Proust, Kafka, Beckett, James Joyce, Uwe Johnson und was sonst zum Bildungsideal unserer Generation gehörte, gelesen oder, wenn nur ein Exemplar der raren Bücher aufzutreiben war, wenigstens in Teilen vorgelesen haben. Die unangefochtene literarische Autorität des Zirkels war Bruno, aus dessen elterlicher Bibliothek auch die meisten der Kostbarkeiten stammten. Nach der Schulzeit löste sich der Zirkel auf, nur Bruno und Hendrik trafen sich weiter und tauschten Bücher. Bruno, für die Naturwissenschaften nicht weniger begabt als für die Literatur, studierte Physik. Hendrik studierte Germanistik. Bruno begann zu trinken und Hendrik zu schreiben, was Bruno zu einem Anfall von verständnisloser Heiterkeit veranlasste. Warum er dem Wust von verzichtbarem Geschreibsel unbedingt etwas hinzufügen wolle, es sei denn, er fühle sich berufen, Größeres zu
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