Zwischenspiel: Roman (German Edition)
hatte Bruno gesagt. Falls es wirklich Fanny und Bernhard waren, die uns da entgegenkamen, hatten sie mich sicher längst erkannt, da Fanny auf keinen Fall unter Sehstörungen litt und Bernhard wahrscheinlich weitsichtig war wie die meisten Menschen über fünfzig. Je näher die beiden kamen, umso sicherer war ich, dass ich in weniger als einer Minute Fanny und ihrem Vater gegenüberstehen würde. Der Mann legte seinen Arm um die junge Frau, zog sie an sich, küsste sie flüchtig auf das Haar, und Fanny verwandelte sich unter dieser Liebkosung ganz in seine Tochter, zärtlich, ein bisschen kokett; anders als ich sie in den letzten Jahren kannte. Ach, Fanny. Ich hatte nie herausgefunden, ob sie Bernhards Verrat, der ja begonnen haben musste, ehe er seine Tochter zur heimlichen Komplizin machte, ob Fanny dieses schmutzige Kapitel aus Bernhards Vergangenheit so demonstrativ ignorierte, weil ihre Tochterliebe groß genug war, um zu verzeihen; oder ob sie mir beweisen wollte, dass ihr Leben eben fünfundzwanzig Jahre später begonnen hatte als meins und die Dinge darum für sie etwas anderes bedeuteten als für mich und dass dieses miese kleine Wort Stasi für sie, Fanny, nicht ausreichte, um ihren Vater für alle Zeiten unter seiner Schuld zu begraben.
Das wolltest du doch. Du wolltest, dass er einfach verschwindet, hat Fanny einmal gesagt, nein, nicht gesagt, an den Kopf geworfen hat sie mir den Satz: Warum hast du ihn zu meinem Vater gemacht, wenn er verschwinden sollte?
Ich hätte antworten müssen: weil ich Väter nicht wichtig fand, wagte es aber nicht.
Inzwischen hatten sich die beiden bis auf wenige Meter genähert, eine mir unbekannte junge Frau, die meiner Tochter nicht einmal besonders ähnlich sah, und ein älterer Mann, ihr Vater oder ihr Liebhaber, vielleicht eine Studentin mit ihrem Professor oder eine Sekretärin mit ihrem Chef, jedenfalls nicht Fanny und Bernhard. Ich nahm mir vor, Fanny sofort anzurufen, sobald ich zu Hause war, und ihr zu erzählen, wie es dazu gekommen war, dass eine kleine rückwärtsfliegende Wolke mich zuerst geblendet, in der Folge dann auf Abwege geführt hatte, bis es zu spät war für Olgas Beerdigung und ich so vollkommen orientierungslos in diesem Park gelandet war. Vielleicht würde ich auch sagen, dass ich Bernhard nicht unter seiner Schuld verschwinden lassen wollte, weil er trotz allem, und zwar durch mich, ihr Vater war, vielleicht sollte ich ihr das sagen, dachte ich.
I ch war müde, hungrig und durstig, sah die Welt aber immer noch verpixelt, was befürchten ließ, dass ich meinen Heimweg so wenig finden würde wie am Morgen den Friedhof. Ich hoffte, der Sonnenuntergang könnte mich von meiner Sehbehinderung befreien, weil sie schließlich mit einem zu langen Blick in den gleißenden Himmel begonnen hatte und die Dunkelheit meinen Augen demzufolge Linderung verschaffen müsste. Aber selbst wenn ich mich wieder imstande fühlte, die Heimfahrt anzutreten, stellte sich die Frage, was aus Nicki werden sollte. Selbst ohne das Lockmittel der dritten Wurst, deren letzten Zipfel er schon vor geraumer Zeit verschluckt hatte, unternahm er keinen Versuch mehr, eigene Wege zu gehen, sondern blieb geduldig an meiner Seite. Nach diesem Tag, an dem er mein Hund gewesen war, wäre ich mir niederträchtig vorgekommen, wenn ich einfach in mein Auto gestiegen und davongefahren wäre. Andererseits konnte ich ihn auch nicht mitnehmen, weil er zu groß war, um in meinem kleinen Arbeitszimmer im Museum unauffällig unter meinem Schreibtisch zu liegen, er also von morgens bis abends allein in der Wohnung bleiben müsste, was man keinem Hund zumuten sollte.
So schnell kann man unverschuldet in unlösbare Gewissenskonflikte geraten, dachte ich, war aber nicht sicher, ob das Wort unverschuldet in diesem Fall wirklich galt, weil ich Nicki aus durchaus eigennützigen Gründen mehrfach bestochen hatte, um mir seine Gesellschaft zu sichern.
Aber noch war Zeit für glückliche Zufälle. Wir könnten einen Menschen treffen, der Nicki und auch seine Besitzer kannte und bereit wäre, ihn sicher nach Hause zu bringen. Oder es könnte eine Hündin des Weges kommen, die so aufreizende Düfte verströmte, dass Nicki sich gezwungen fühlte, ihr zu folgen. Für diesen Fall nahm ich mir fest vor, ihn nicht zurückzuhalten, sondern schnell und unauffällig einen Seitenweg einzuschlagen und mich für Nicki unsichtbar zu machen, so dass er sich ganz auf seine neue Gefährtin konzentrieren könnte. Während
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