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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Gestatten Sie mir, dass ich zur Verwirrung meinen Teil beitrage? Die Geschichte mit Gott und dem Paradies, ob erfunden oder nicht, ist nun einmal in der Welt und gibt Rätsel auf. Nehmen wir an, Gott ist tatsächlich ein Gott, dann hat er natürlich gewusst, dass Adam und Eva dem Teufel nicht widerstehen können und von dem Baum naschen werden. Er hatte also nie vor, sie in seinen paradiesischen Gefilden auf Dauer zu beherbergen, sondern das ganze Spektakel war von Anfang an als ein erzieherischer Akt mit Ewigkeitswirkung gedacht: Wer gegen meinen Willen handelt und mehr sein will als mein Geschöpf, fliegt raus und trägt die Folgen bis ins letzte Glied. Ihr hattet die Wahl und habt gewählt, jetzt wisst ihr, was gut und böse ist, und habt darum ab jetzt die Verantwortung für alles, was ihr tut. Seitdem zittern die Menschen vor ihrem Gott, rutschen auf Knien, beten und betteln, er möge ihre Sünden vergeben und sie wenigstens nach dem Tod ins Paradies zurücknehmen. Statt sich zu fragen, warum er ihre Urahnen so gnadenlos in einen Hinterhalt gelockt hat, beschwören sie seine unendliche Güte und Liebe. Und er, nachdem er die Menschen zur Sünde verurteilt hat, schickt seinen Sohn und lässt ihn stellvertretend für die Sünder ans Kreuz nageln, auch das aus reiner Liebe.
    Wir kamen gerade an einer leeren Bank im Halbschatten einer Platane vorbei, und Olga schlug vor, ein derart schwieriges Gespräch lieber sitzend fortzuführen. Bruno sagte, er wolle seine todesstarren Glieder noch ein wenig lockern, tänzelte anmutig vor uns auf und ab und nahm dabei hin und wieder einen Schluck von seinem Phantombier.
    Ich kenne kaum einen Menschen, der vor Gott auf den Knien liegt und betet, außer den Muslimen natürlich, sagte ich.
    Ich habe oft gebetet, sagte Olga.
    Ich habe dich nie beten sehen.
    Nein, sagte Olga, aber ich habe auch für dich gebetet. Und du, betest du nie?
    Doch, sagte ich, irgendwie, aber ich weiß nicht, zu wem. Mein Himmel ist leer.
    Bruno steckte sein Bier in die Tasche und hob beide Arme, um unsere Aufmerksamkeit wieder für sich zu reklamieren.
    Der leere Himmel. Damit, meine Damen, sind wir bei der atheistischen Variante. Sehen Sie diesen entzückenden blauäugigen Hund, gottlos und zufrieden und, wie Sie, Gnädigste, richtig bemerkten, unfähig das Falsche zu tun, weil er es nicht kennt. So waren wir auch. Dann lernten wir allmählich zu sprechen und den aufrechten Gang, na, Sie kennen das alles, kurz: es kam zu einer vollkommen neuen zerebralen Situation. Dem Menschen wuchs ein Verstand zu, er konnte entscheiden in, ja, heute würden wir sagen: in göttlicher Willkür. Aber was folgt aus Willkür?
    Bruno zeigte mit dem Finger auf mich wie ein Lehrer auf seine Schülerin, und ich antwortete auch so.
    Wut, sagte ich.
    Falsch, sagte Bruno, Verantwortung. Aus Willkür folgt Verantwortung. Wer entscheidet, kann falsch entscheiden und ist dafür verantwortlich. Sie sehen, wir haben das gleiche Ergebnis, nur ohne Gott und Apfelbaum.
    Ich überlegte gerade, worin der Vorteil der einen oder anderen Menschwerdung liegen könnte, als Nicki, den Brunos Vortrag sichtlich langweilte, aufstand und davontrottete. Ich holte die dritte Wurst aus der Tasche, brach ein Stück ab, schwenkte es in der Luft und lockte Nicki zurück. Er schluckte den Happen, ohne zu kauen, während ich die übrige Wurst mit einer langsamen, für Nicki verfolgbaren Bewegung wieder in die Tasche steckte. Er leckte sich die Schnauze und setzte sich mit stierem Blick auf meine Tasche wieder neben mich.
    Olga schüttelte nachdenklich den Kopf. Junger Mann, wir sind doch keine Kreationisten. Trotzdem kann ich an ein göttliches Gesetz glauben.
    Selbstverständlich können Sie alles glauben, wenn es hilft, sagte Bruno.
    Also gut, sagte ich, Verantwortung ohne Gott und Apfelbaum. Und woher kam dann Gott?
    Woher kam Gott? Bruno lachte und drehte sich vor Vergnügen auf einem Bein um sich selbst. Woher kam Gott? Die Frage aller Fragen. Stellen Sie sich vor, Gnädigste, der arme Mensch, verstoßen aus der Unschuld der Tiere, das innere Gesetz verloren und ausgesetzt der eigenen Schuld. Keine UNO weit und breit, keine Deklaration der Menschenrechte, kein Ersatz für den Verlust der inneren Bestimmung, kein Trost über die grausame Erkenntnis der Sterblichkeit. In seiner unbegreiflichen Verlassenheit erfand der Mensch sich Geschichten über seine Herkunft, die er nicht kannte, und erzählte die Geschichten weiter. Und weil die Geschichten alle der

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