Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
ich weiß, dass sein Stiefvater ein anständiger Mann war, er liebte Klaus wie seinen eigenen Sohn und behandelte ihn auch so. Im Grunde genommen hätte es Klaus nicht besser treffen können.«
»Was hat das mit den Geschehnissen in der Gegenwart zu tun?«, warf ich ungeduldig ein. Richard bedachte mich mit einem langen, traurigen Blick aus seinen wässrig-blauen Augen.
»Warte es ab, wir kommen noch an den Punkt. Sein Stiefvater war als einfacher Arbeiter in einer der Fabriken meines Großvaters beschäftigt. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass er kein Großverdiener war. Doch der Familie mangelte es an nichts und ich muss zugeben, dass ich Klaus immer um seine Familie beneidete. Es ging immer sehr herzlich zwischen ihnen zu, bei Tisch wurde gelacht und gescherzt. Bei uns zu Hause herrschte das eiserne Regiment meines Großvaters, der zu diesem Zeitpunkt noch am Leben war. Als Kind habe ich mir so manches Mal gewünscht, dass seine Familie die meinige wäre. Ich hatte keine Ahnung davon, wie oft seine Mutter am Ende des Monats beim Kaufmann anschreiben lassen musste, weil das Geld mal wieder nicht reichte und Klaus eine neue Hose brauchte. Stand bei mir an Weihnachten eine neue Eisenbahn unterm Baum, so bekam Klaus abgeänderte Kleidung und ein oder zwei gebrauchte Bücher. Wir waren noch so jung und hatten keine Ahnung davon, dass wir aus völlig unterschiedlichen Welten stammten. Wir mochten die gleichen Spiele und das war für uns die Hauptsache. Anfänglich begegneten meine Eltern ihm mit Skepsis, aber nachdem sie erkannten, was für ein fleißiger und ehrgeiziger Junge er war, war er immer willkommen. So kam es, dass er Christine, Philemons Mutter, kennenlernte, die damals noch fast in den Windeln lag. Bereits als Baby war sie bildhübsch und sie wuchs zu einem zierlichen Mädchen mit blonden Locken und leuchtend blauen Augen heran. Sie sah aus wie ein Engel, war aber ein wahrer Wildfang.« An dieser Stelle räusperte sich Richard und entschuldigend sah er mich an. Er stand kurz auf, holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser. Er schenkte uns ein, nahm einen Schluck und sprach weiter.
»An ihr war ein Junge verloren gegangen, meine Eltern verzweifelten fast deswegen, dass sie nicht mit Puppen, sondern mit meiner Eisenbahn spielen wollte. Und dann kam Klaus in unsere Familie, schon vom ersten Tag an war er ihr Held, hatte er doch ihren großen Bruder vor seinen Klassenkameraden gerettet. Am Anfang war sie nur meine kleine Schwester, die stets wie eine Klette an uns hing. Wir wollten sie eigentlich nicht mitnehmen, aber sie hatte durchaus gute Argumente, die an Erpressung grenzten, damit wir sie mitspielen ließen. So zog die kleine Göre oft mit uns großen Jungs durch die Gegend. Erst als sie älter wurde und zur Frau heranwuchs, begann Klaus sie auch mit anderen Augen zu betrachten. Er verabredete sich mit ihr, machte ihr Geschenke und suchte ihre statt meiner Nähe. Wir sahen uns aber weiterhin in der Schule, denn so ungewöhnlich es sein mochte, er hatte seinen Willen durchsetzen können und durfte mit mir zusammen aufs Gymnasium gehen. Seinen Eltern wäre es lieber gewesen, wenn er eine Ausbildung gemacht hätte, aber er wollte auf die höhere Schule. Nach dem Abitur war allerdings Schluss, er erhielt die gewünschte Förderung nicht und konnte nicht studieren, das Geld dazu fehlte seinen Eltern. Er begann damals eine Ausbildung als Radiotechniker.«
»Konnte er seine Fähigkeiten als Techniker beim Bau der Zeitreisemaschine einbringen?«, unterbrach ich ihn. Richard nickte und fuhr fort.
»Ja, das hat er, er war schnell besser als sein Meister. Es war wirklich eine Schande, dass er nicht hatte studieren dürfen. Mit einem Studium wäre ihm gewiss der Nobelpreis sicher gewesen, er war brillant. Mir war es vergönnt zu studieren, man erwartete es sogar von einem Lermin. Ich ging nach Hamburg, wo ich Betriebswirtschaftslehre studieren musste, bestimmt nicht das Fach meiner Wahl, aber mit meinem Vater konnte man darüber nicht diskutieren. Heimlich schrieb ich mich zusätzlich für Physik ein. Ich war nie der Typ, der auf Partys ging und feierte. Ich war wohl das, was man heute als einen Nerd bezeichnen würde.« Sofort schwebte ein Bild vor meinen Augen, das den jungen Richard als Studenten mit dicker schwarzer Hornbrille und schwarzem Rollkragenpullover zeigte. Bevor ich mich davon zu sehr ablenken ließ, kehrte meine Aufmerksamkeit zu Richards Ausführungen zurück. Noch immer konnte ich nicht
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