Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
so seine Frauen? Der Blick in seine blauen Augen reichte auf alle Fälle aus, dass mein Herz wieder schneller als gewöhnlich schlug.
»Das klingt ja jetzt nicht so wirklich spannend«, meckerte Patrick.
»Reine Geschmackssache, aber ich habe nun mal die bisher schönste Zeit meines Lebens in London verbracht!« Wieder dieser Blick! Was sollte das?
»Laura ist übrigens auch eine große Englandliebhaberin.« Danke , Papa, ging es noch offensichtlicher? Warum hingen sie mir nicht gleich ein Schild mit der Aufschrift »Noch zu haben« um?
Das Gespräch drehte sich noch eine ganze Weile um diverse Reisen, wobei meine Eltern nicht aufhören konnten, die Unterhaltung immer wieder in meine Richtung zu lenken. Der Eindruck, dass ich ein Stück Vieh auf dem Markt war, kam langsam in mir auf. Wollten sie mich denn mit aller Macht an den Mann bringen? Sie wussten doch nichts über ihn, reichte es ihnen denn, dass er gut aussah? Waren sie so verzweifelt, was mich anging? Währenddessen gaben sich meine Brüder alle Mühe, Phil die kalte Schulter zu zeigen. Schon immer hatten sie sich gegen meine Freunde verbrüdert. Wenn man sie darauf ansprach, dann taten sie das nur, um ihre Lieblingsschwester vor bösen Mistkerlen zu beschützen. Die Wahrheit sah eher so aus, dass sie sich einfach nur einen Heidenspaß daraus machten, sich wie die typischen großen Brüder aufzuspielen.
»Laura, kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte Phil, als wir schon lange mit dem Nachtisch fertig waren. Zehn Augenpaare sahen ihn ungläubig an und jeder stellte sich die Frage, was er von mir wollte.
»Geht ins Wohnzimmer, da seid ihr ungestört!«, forderte meine Mutter uns auf. Ja klar, weil man dort auch nur jedes Wort verstand, dass nicht geflüstert wurde.
»Das Essen war doch ziemlich üppig und ein paar Schritte könnten mir nicht schaden. Wäre ein Spaziergang in Ordnung für dich?«, bot ich schnell als Ausweichmöglichkeit an. Alles war besser, als in diesem Haus zu bleiben, wo acht neugierige Ohren alles mithörten.
»Nein, überhaupt nicht!« Auch er wirkte erleichtert, dass wir meiner Familie entfliehen konnten. In unsere dicken Jacken eingepackt, verließen wir das Haus und liefen die Straße entlang. Die nahende Adventszeit zeigte ihre ersten Spuren. Manche Nachbarn hatten bereits ihre Keller und Dachböden geplündert und zeigten, dass sie es sich leisten konnten, ganze Leuchtbatterien von Schneemännern und Rentieren für mehrere Wochen in ihrem Vorgarten stehen zu lassen.
»Hier bist du also aufgewachsen«, ließ Phil verlauten, nachdem wir schweigend ein paar Schritte nebeneinander gelaufen waren.
»Ja, bin ich. Du musst keinen Small Talk halten. Warum bist du hier?« Ich wusste nicht, wie ich mit seiner Anwesenheit umgehen sollte. Auch wenn ich es meiner Familie gegenüber als einfachen Krankenbesuch abgestempelt hatte, wusste ich genau, dass das über kollegiales Interesse hinauslief. Nur der Grund wollte sich mir einfach nicht erschließen.
»Ich weiß, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, aber du und ich …«, er stockte für einen Moment, als suchte er nach den richtigen Worten.
»Was ist mit uns?«, hakte ich barsch nach, während mich ein merkwürdiges Gefühl der Vorahnung beschlich.
»Wir … wir sind uns nähergekommen.« Ich blieb abrupt stehen und drehte mich zu ihm hin.
»Wie nahe?« Ich wollte es aus seinem Mund hören. Obwohl irgendetwas in mir ziemlich sicher wusste, wie seine Antwort lauten würde.
»So nahe man sich in einer Beziehung nur kommen kann!« Er suchte meinen Blick und hielt ihn fest. Mein Gott, wie konnte ein Mensch nur derart intensiv schauen? So durchdringend, als würde er mir bis auf den Grund meiner Seele schauen. Tief in mir rührte sich für einen Moment etwas, einer Erinnerung ähnlich. Aber viel zu schnell, als dass ich es hätte greifen können, war das Gefühl verschwunden.
»Das kann nicht sein! Du bist mein Kollege und ich fange prinzipiell nichts mit Menschen an, die mit mir arbeiten!«, protestiere ich aufs Heftigste.
»Wegen Oliver, ich weiß.« Egal ob seine Behauptung bezüglich unserer Beziehung der Wahrheit entsprach oder nicht, eines war sicher: Er wusste mehr über mich als meine anderen Kollegen, und das, obwohl er erst seit wenigen Wochen an der Schule war.
»Nur weil du von Oliver weißt, heißt das noch lange nicht, dass der Rest stimmen muss. Was, wenn …« Jetzt war es an mir zu stocken, denn mir kam ein Gedanke, der schrecklicher nicht
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