Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
meiner guten Manieren und stellte ihn meiner Familie vor. Die Augen meiner Mutter bekamen einen feuchten Glanz, als sie ihn genauer betrachtete. Wahrscheinlich malte sie sich aus, wie unsere Enkelkinder aussehen könnten. Träum weiter, Mama, dachte ich.
»Nehmen Sie doch Platz, Herr Berger!«, forderte Mama ihn auf, rückte ihm einen Stuhl zurecht, auf dem er sich tatsächlich niederließ. Und als wäre das alles nicht genug, stellte sie ihm noch einen Teller mit Pannacotta vor die Nase und fragte ihn, ob er einen Espresso wollte! Wie wäre es denn, wenn sie ihn auch noch fragte, ob er einziehen wollte? Platz genug hatten sie ja.
»Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen, Frau Simon«, protestierte er zum Schein, schenkte meiner Mutter aber ein strahlendes Lächeln, sodass diese dahinschmolz wie Butter in der Sonne. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, damit Frau das tat, was er wollte. Dieser Schleimbolzen!
»Aber Herr Berger, das ist doch kein Umstand. Außerdem lerne ich so selten Lauras Freunde kennen, dass es mir eine richtige Freude ist, Sie hier zu haben!«
»Mama, Herr Berger ist nur ein Kollege. Ein Kollege, der einen Krankenbesuch macht!«, mischte ich mich in die Unterhaltung ein, bevor sie noch auf die Idee kam, ihm das Du anzubieten. Sie war hin und weg von ihm. Papa und meine Brüder tauschten belustigte Blicke miteinander aus. Meine Mutter lief immer zur Höchstform auf, wenn ich mal männlichen Besuch hatte. Das war schon in meiner Schulzeit so gewesen, weswegen ich es meistens vermieden hatte, meine Freunde mit nach Hause zu bringen. Denn nachdem sie die jungen Herren ausgefragt hatte, was denn ihre Eltern so machten, kam als Nächstes immer die Frage nach ihren Zukunftsplänen. Eine Frage, die ein Sechzehnjähriger in den meisten Fällen noch nicht zufriedenstellend beantworten konnte.
»Also Phil, es ist doch in Ordnung, dass ich dich duze, oder? Seit wann bist du denn am Albert-Einstein?« Ich hätte Stefan dafür knutschen können, dass er das Gespräch an sich riss und ihn somit von Mama weglotste.
»Erst seit Beginn des Schuljahrs. Es ist eine wirklich tolle Schule, und ich wurde gleich sehr herzlich von allen empfangen!« Der Kerl besaß doch echt die Frechheit, mir bei diesen Worten zuzuzwinkern. Auch wenn ich mich nicht mehr an die letzten Wochen erinnern konnte, so waren mir unsere ersten Begegnungen noch sehr deutlich im Gedächtnis. Angefangen beim ersten Schultag, als ich ihn anpflaumte, weil er meinen Parkplatz belegt hatte und ich deshalb zu spät gekommen war. Kurz danach waren wir wegen seiner nicht vorhandenen Unterrichtsvorbereitung richtig aneinandergerasselt. Und auch danach hatten wir uns mehr oder weniger toleriert. Von einer Freundschaft waren wir weit entfernt. Es erklärte jedenfalls nicht, warum er bei meinen Eltern auftauchte.
»Und welche Fächer hast du?«, mischte sich nun auch Patrick ein.
»Deutsch und Geschichte«, gab er bereitwillig Auskunft.
»Das sind ja Frauenfächer. Wieso hast du das denn gewählt?« Manchmal konnte mein Bruder echt zum Kotzen sein. Frauenfächer! Also wirklich! Alter Macho, ich sollte Anne unbedingt eine Tapferkeitsmedaille überreichen, die hatte sie sich redlich verdient, da sie mit einem solchen Chauvi wie meinem Bruder zusammen war.
»Weil es sich anbot und mir sehr liegt«, antwortete Phil etwas ausweichend.
»Und nicht etwa, damit du Frauen aufreißen kannst?« Was wollte Stefan bezwecken?
»Das war natürlich ein netter Nebeneffekt. Aber ich mache keine Scherze, ich mag Geschichte, sehr sogar!«, betonte er nachdrücklich.
»Ich finde es sterbenslangweilig und konnte nie verstehen, warum Laura sich dafür interessiert hat, aber unsere Kleine war auch schon immer ein wenig anders! Und was machst du so in deiner Freizeit, wenn du nicht Lehrer bist?« Hatte nur ich den Eindruck oder hatte das Ganze inzwischen den Anstrich eines Vorstellungsgesprächs bekommen? Nur war die Stelle, die es zu besetzen galt, die als mein fester Freund.
»Ach, ich reise ein wenig in der Weltgeschichte rum.«
»Echt? Ich reise auch gerne. Wo hat es dir am besten gefallen?«, meldete ich mich nun auch zu Wort. Ich liebte es, an fremde und neue Orte zu reisen. Vielleicht waren wir doch gar nicht so unterschiedlich, wie ich bisher angenommen hatte.
»London, immer wieder London!« Er schenkte mir dabei einen so unergründlichen Blick, der mir eine merkwürdige Gänsehaut bereitete. Was wollte er damit bezwecken? Verführte er
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