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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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einen Augenblick lang ist es so, als ob wir noch ein Paar, uns immer noch nahe und verliebt wären; als würden wir uns zum Mittagessen treffen, weil wir uns unbedingt auch tagsüber sehen müssten. Als ich mich an den Tisch setze, ist ihr Lächeln der freundlichen Miene einer Polizistin gewichen. Bevor wir überhaupt ein Wort wechseln können, tritt ein Mann an den Tisch. Sie steht auf, um ihn zu begrüßen, und stellt uns vor:
    «Árni Guðjónsson, Magni Þórsson.» Wir geben uns die Hand und nicken uns zu. Er ist groß und breit gebaut, die Stoppeln eines Dreitagebartes bedecken seine Wangen, und die altmodische Samtjacke ist zerknittert und an den Ellbogen abgewetzt.
    «Wie ich dir gesagt habe, Árni, wollten wir dich in einem informellen Rahmen treffen, um mit dir über Jón Ágúst zu reden, in der Hoffnung, sein Leben besser zu verstehen», sagt Iðunn, als wir uns setzen, und fährt fort: «In einer formellen Befragung und bei einem Verhör versuchen die Leute meistens, sich an die Tatsachen zu halten, und erwähnen lediglich das, von dem sie denken, dass es eine Rolle spielt, aber bei einem ungezwungenen Gespräch kann alles zur Sprache kommen, auch eine unscheinbare Nebensache, Gedankenblitze oder sogar eine Ahnung.»
    «Okay, wo sollen wir anfangen?», fragt Árni, seine Stimme ist sanft und tief. Er wirkt ruhig, und seine Augen sind auf die Tischplatte geheftet, als ob er schüchtern wäre.
     
    «Wie lange habt ihr euch gekannt?», fragt Iðunn, und ich vermute, dass die Frage ihm schon unzählige Male gestellt worden ist und sie sie wiederholt, damit ich einen Einstieg finde.
    «Jetzt im März wären es sieben Jahre gewesen», sagt er, und sein Blick bleibt weiterhin auf die Tischplatte geheftet. «Wir haben uns durch gemeinsame Arbeitskollegen kennengelernt. Ich arbeite auf dem Bau und er, wie ihr wisst, entwarf Häuser. Das heißt, ich kaufte die Pläne von ihm. Manchmal haben wir zusammengearbeitet und sie in Absprache mit den Kunden geändert. Dabei hat sich unsere Beziehung entwickelt, wie das eben so passiert.»
    «Kannst du dich an unzufriedene Kunden oder Kollegen erinnern?»
    «Ich glaube, ich kann unumwunden sagen, dass sämtliche Kunden beim Abschluss der Geschäfte zufrieden waren. Selbstverständlich gibt es oft Unannehmlichkeiten bei der Zeitplanung, die wie überall auch im Baugewerbe ein Problem ist, doch diese Verantwortung lag stets bei mir. Er verkaufte lediglich die Pläne, und die Leute kaufen nur die, mit denen sie zufrieden sind.»
    «Aber die Kollegen?», fragt Iðunn weiter. Árni scheint einen Moment zu zögern.
    «Ja, ich weiß nicht, ob ich das erwähnen soll, vielleicht ist es ja gar nicht wichtig», sagt er langsam, und Iðunn fällt ihm ins Wort:
    «Unbedingt, raus damit. Wir möchten gerne alles wissen, was dir in den Sinn kommt, wir haben bis jetzt noch nicht viel herausgefunden.»
    «Da war dieser junge Typ, er hat letztes Jahr bei mir gearbeitet, ein Elektriker. Wir arbeiteten an einem Haus, bei dem die Pläne geändert werden mussten, und Jón Ágúst war auf den letzten Drücker mit den Zeichnungen für die Elektrik beschäftigt. Er kam ab und zu vorbei und beriet sich mit dem Typen, und ich glaube, dass der Kleine dabei ein Auge auf ihn geworfen hat, im wahrsten Sinne des Wortes.»
    «Und was geschah dann?», fragt Iðunn, während sie ihren Notizblock bereithält.
    «Der tauchte bei ihm zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten auf und wollte einen Kaffee; einmal kam er mit einem Sixpack, und Jón Ágúst schickte mir eine SMS , ich soll doch bitte vorbeikommen und ihm aus der Patsche helfen. Der Typ war ziemlich sauer, als ich auftauchte, machte sich aus dem Staub und ließ sich dann bei der Arbeit nicht mehr blicken. Einige Wochen später trafen wir ihn in der Homodisco im Zentrum, er war betrunken und benahm sich mir gegenüber ziemlich daneben.»
    «Was hat er zu dir gesagt?»
    «Ach, er hat das Maul aufgerissen und behauptet, dass es beschissen sei, bei mir zu arbeiten, dass ich ein Fettsack sei und so was.» Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. «Ich möchte den Jungen trotzdem nicht in Schwierigkeiten bringen und wüsste nicht, warum er Jón Ágúst hätte schaden wollen, es ist nur …»
    «Was denn?» Iðunn ist wie ein Radar, wenn jemand stutzt.
    «Ach, ich habe gehört, dass er einmal wegen eines Gewaltvergehens im Gefängnis gesessen hat, aber das hat ja nichts zu bedeuten, oder etwa doch?»
    «Nein, nein, überhaupt nicht», sagt

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