Zwoelf Schritte
muss etwas unternehmen, um sie im Zaum zu halten. Das Kribbeln in den Beinen signalisiert mir, dass Bewegung mir guttun würde. Ich packe Badehose und Handtuch ein und marschiere über den Hügel ins Sundhöll-Schwimmbad. Ich bin immer gern schwimmen gegangen, doch seitdem sind mehr als zwei Jahre vergangen. Lange Zeit bin ich immer sonntags ins Schwimmbad gegangen, als sich der Wille zur Besserung nach einem durchzechten Wochenende meldete und ich meinem Körper etwas Gutes tun wollte. In der Dusche beruhigen sich meine Gedanken bereits, und als ich in das Becken gleite, bin ich ziemlich entspannt und schwimme zehn Bahnen, ohne auch nur ein einziges Mal an den gekreuzigten Mann zu denken. Dann setze ich mich mit halbgeschlossenen Augen in den Hot Pot, genieße die Entspannung und spüre, wie die Hitze des Wassers langsam in meine Muskeln und bis in meine Knochen dringt. Es liegt dichter Dampf über dem heißen Wasser in der frostigen Luft, sodass die anderen Leute im Pot zum Teil nicht mehr zu erkennen sind. Ich höre Gemurmel über Politik, die Wirtschaftslage und das Wetter. Nach dem Schwimmbadbesuch bin ich hungrig wie ein Wolf. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und steuere direkt auf die Würstchenbude vor dem Sundhöll-Schwimmbad zu. Während ich in der frostigen Kälte ein dampfend heißes Würstchen verdrücke, überkommt mich ein unbekanntes wonniges Wohlbefinden. Das ist zweifelsohne die natürliche Wirkung der Endorphine, die dem Arzt in Vogur zufolge im ersten Jahr nach dem Verzicht auf den Konsum von Rauschmitteln nach und nach einsetzt. Als ich zu Hause ankomme, klingelt mein Handy, es ist Iðunn.
«Ich habe Atli Eyjólfsson, den Elektriker, ausfindig gemacht und werde ihm morgen früh einen Besuch abstatten. Kommst du mit?»
«Selbstverständlich», sage ich. «Aber hast du denn niemand, der dich bei solchen Verhören begleitet?»
«Ich habe eine ganze Ermittlungstruppe. Aber ich leite sie, und ich will dich bei dieser Vernehmung dabeihaben. Du hast gehört, was Árni über diesen Typen gesagt hat, und kannst somit seine Aussage besser einschätzen.»
«Okay», sage ich, während in meinem Kopf noch immer die Wunschvorstellung dominiert, dass Iðunn eigentlich mehr Zeit mit mir verbringen will.
Ich staubsauge den Eingang, die Küche und das Wohnzimmer. Ich mag es, wenn die Wohnung sauber ist, jetzt, wo Iðunn ab und zu vorbeikommt. Dann nehme ich die Bücher aus einer Kiste, stelle sie ordentlich ins Regal und gehe in die Küche, um mich um das Abendessen zu kümmern. Mein Magen hat das Würstchen bereits verdaut und fordert mehr Nahrung, sodass ich mir ein schnelles Gericht zubereite. Ich schmeiße Nudeln in einen Topf, und während sie kochen, brate ich Geflügelwürstchen zusammen mit Zwiebeln und Peperoni in der Pfanne an und vermenge alles mit einem großzügigen Schuss thailändischer Chilisauce. Ich gieße mir ein großes Glas Ananassaft ein und setze mich mit dem Essen vor den Fernseher. In den Nachrichten wird über die Mordermittlungen berichtet und immer wieder Jón Ágústs Haus gezeigt, umgeben von gelbem Absperrband und mit einer Polizeiwache davor. Dann taucht Iðunns Gesicht auf dem Bildschirm auf, und sie sagt, dass die Polizei aktuellen Hinweisen nachgehe, dass aber noch keine Aussagen dazu gemacht werden können. In diesem Moment wird mir klar, dass die Formulierung «dass sie aktuellen Hinweisen nachgehe» so viel bedeutet, wie dass die Polizei keinen blassen Schimmer hat. Iðunn tut mir plötzlich leid. Sie hat seit Jahren auf diese Chance gewartet, ein großes Verbrechen aufzuklären, und jetzt ist es endlich so weit, und es geschieht genau das: keine Zeugen, keine Spuren, keine Fingerabdrücke, keine brauchbaren Hinweise. Ich greife zum Handy und wähle ihre Nummer.
«Ja.»
«Ich hab dich im Fernsehen gesehen», eröffne ich das Gespräch und warte darauf, dass sie zu erkennen gibt, wie sie sich fühlt.
«Ja, das ist die tägliche Berichterstattung über nichts.» Sie klingt genervt.
«Falls du kommen und reden willst, ich bin zu Hause», sage ich und bereue es sofort, als ihre Antwort auf sich warten lässt.
«Danke, Magni, aber mit mir ist schon alles in Ordnung. Das ist einfach Teil des Jobs. Manchmal geht es besser, manchmal schlechter.»
«Gut», erwidere ich und bin froh, dass sie nicht sehen kann, wie ich rot werde.
«Bis morgen dann», verabschiedet sie sich und legt auf.
Ich bin so wütend auf mich, dass ich am liebsten den Kopf gegen die Wand
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