Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
zusammen. So haben wir die Prozession immer schön im Auge, und die haben keine Ahnung, daß wir hinterher sind. Machen die Rast, dann machen wir auch Rast. Bleiben die irgendwo zur Nacht in einer Scheune, dann kriegen wir auch noch eine Scheune, natürlich in einem anderen Dorfe, im selben Dorf höchstens, wenn es sehr groß ist. Und zum Schluß werden wir dafür sorgen, daß wir noch vor der Prozession in Heiligkreuz sind. Die werden Augen machen! Ihr müßt jetzt bloß dafür sorgen, daß ihr übermorgen pünktlich zur Stelle seid. Ihr braucht keine Angst zu haben, daß man euch nicht aus dem Hause läßt. Es sind ja alle in der Kirche. Wer Angst hat, kann auch meinetwegen einen Zettel zu Hause auf den Tisch legen und schreibt darauf: „Bin auch nach Heiligkreuz!“ So, und wer jetzt noch was fragen will, der kann das ja tun .«
Für die ersten fünf Minuten hatte keiner der »Verstoßenen« etwas zu fragen. Sie waren alle der Meinung, daß Willem das ganz großartig ausgetüftelt habe. Sie glühten vor Begeisterung. Erst nach einiger Zeit stellte der dicke Emil seine erste bedächtige Frage. »Dann ist das ja eigentlich keine richtige Wallfahrt, was wir machen, sondern mehr so ein Ausflug, wie die Wandervögel das so machen ?«
»Nein«, sagte Willem, »wir machen eine richtige Wallfahrt. Ihr bringt alle euren Rosenkranz mit und euer Gebetbuch, und dann beten wir genau so wie die andern auch .«
»Wir könnten sogar ein richtiges Wallfahrtskreuz mitnehmen«, sagte der kleine Theo. »Wir haben das von der Kevelaerbruderschaft zu Hause, und nach Heiligkreuz haben sie ein anderes .«
»Bring es ruhig mit !«
Mehr Fragen hatte keiner von den »Verstoßenen« zu stellen. Willems Plan war so sonnenklar. Dafür aber hatten alle nun tausend » wunderbare « Ideen, die sie noch zu Willems Plan beisteuern konnten. Der rote Philipp zum Beispiel wollte einen richtigen Photoapparat mitbringen von seiner Schwester. Der dicke Emil versprach einen halben Schinken, der kleine Theo eine Seite Speck, Jupp und Franz, die zwei Brüder, wußten beizusteuern, daß jeder eine Wolldecke mithaben müsse zum Schlafen, und wer keine hätte, könnte sie von ihnen haben. Der Vater der beiden Kerle nämlich war Wirt und unterhielt auf seiner Kegelbahn eine Art Jugendherberge, da waren Wolldecken genug. Den Vogel aber schoß gewissermaßen Ludwig ab, der Sohn des Müllers. Er versprach, ihren großen Karo mitzubringen. Den könne man vor Willems Leiterwagen spannen. Da brauchte man selbst nicht so viel zu ziehen. Alle Pläne wurden gutgeheißen, und jeder entfachte die Begeisterung der »Verstoßenen« zu immer hellerer Glut. Hätte nicht die Abendglocke der Beratung auf dem Mühlanger ein Ende gemacht, wer weiß, wie diese Bubenwallfahrt sich noch hätte entwickeln können. Willem setzte für den kommenden Mittag eine neue und letzte Beratung fest. Wer morgen mittag nicht auf dem Mühlanger sei, der zeige damit an, daß er es sich anders überlegt habe. Nachdem alle feierlich gelobt hatten, niemandem, aber auch wirklich niemandem etwas von diesem wunderbaren Plane zu verraten, schlichen sich die zwölf »Verstoßenen« ins Dorf zurück. Nun waren es in Obermauelsbach achtzehn Buben, die vor Freude und Erregung, aber zum Teil auch wegen verschiedener Gewissensbisse und einiger Angst nicht recht schlafen konnten.
Wir können es uns schenken, jetzt zu berichten, wie es am nächsten Tage Willem als dem Oberhaupt der »Verstoßenen« gelang, die beunruhigten Gemüter zu besänftigen. Es ist genug, wenn wir feststellen, daß zur festgesetzten Stunde alle Zwölf auf dem Mühlanger zusammen waren und gelobten, am nächsten Morgen mit dabei zu sein. Alle Zweifel löste Willem, und wunderschön konnte er den Kameraden klarmachen, welch ein Segen sich auf das Dorf Obermauelsbach ergießen müsse, wo da zwölf tüchtige Kerle entschlossen waren, auf eigene Faust auf Wallfahrt zu gehen.
Kaum hatten die zahlreichen Hähne des Dorfes Obermauelsbach ihr erstes »Kikeriki« am 3. Oktober in die noch nächtliche Dunkelheit hineingeschmettert, da gingen schon hinter den Gardinen der einzelnen Häuser die Lichter an. Eine seltsame Unruhe machte sich im Dorf bemerkbar. Früh schon tappte der Küster Klingebein zur Kirche, damit um halber Viere pünktlich die Morgenglocke töne. Um die Zeit war dann auch die Kirche hell, der Herr Pastor saß schon im Beichtstuhl, und bald kamen auch die reuigen Schäflein von Obermauelsbach, um vor Beginn der großen
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