Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Pilgerfahrt ihre Seele reinzubaden. Als die alte Turmuhr halb fünf schlug, da lag das Dorf wieder im Dunkeln, nur die Kirche leuchtete hell. Mächtig begann die Orgel zu brausen, als der Herr Pastor mit den sechs »Auserwählten« an den Altar geschritten kam, auf dem die Kerzen fast so zahlreich brannten wie in der Heiligen Nacht. Machtvoll begannen die Bauern das uralte Wallfahrtslied:
»In Gottes Namen fahren wir...«
Und sie sangen es so laut, daß den sechs »Auserwählten« das Confiteor vor Begeisterung fast im Halse steckenblieb. So groß war die Begeisterung und Freude, daß nun endlich der 3. Oktober und damit die große Wallfahrt nach Heiligkreuz gekommen war.
Wie gesagt, das Dorf Obermauelsbach lag wieder im Dunkel. Alle Bewohner waren in der Kirche, ganz gleich, ob sie mitwallfahrteten nach Heiligkreuz oder zu Hause blieben. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß in der einen oder anderen Obermauelsbacher Familie an diesem frühen Morgen schon ein heftiger Streit entstanden war. Gab es doch an diesem Morgen in Obermauelsbach zwölf Buben, die ihren Eltern mit eigensinnigem Trotz erklärten, sie stünden nicht auf, sie gingen nicht mit in die Kirche; dürften sie nicht mit nach Heiligkreuz, so wollten sie mit der ganzen Sache auch nichts zu tun haben. In den meisten Familien hatte dieser ungewöhnliche Trotz tatsächlich Erfolg gehabt, aber nicht bei allen. Willem zum Beispiel und der kleine Theo, nicht zu vergessen der rote Philipp, waren kurzerhand von Vater oder Mutter »handgreiflich« gezwungen worden, doch aufzustehen. (Daß sie nachher im entscheidenden Augenblick nicht in der Kirche waren, muß allerdings auch festgestellt werden.)
Wenn, wie wir schon mehrmals oben betonten, das Dorf Obermauelsbach um halb fünf wieder im Dunkel lag, so soll das nicht heißen, daß es deshalb auch in friedlicher Ruhe lag. Im Gegenteil: Kaum hatte die heilige Messe begonnen, da erhob sich in einzelnen Häusern eine geradezu verdächtige Unruhe. Da krähten die Hähne heftiger als sonst, die Hühner gackerten. (Was hat so früh auch ein Lausbub schon nach frischen Eiern zu suchen.) In Kästen und Kisten wurde rumort, weil dieser oder jener nach dem Wintermantel suchte. Einmal polterte sogar ein Leiterwagen durch die stille Dorfstraße, und gerade während der heiligen Wandlung war es doch dem Müller Knappe, als ob sein Karo draußen vor dem Kirchenportal gebellt habe. Aber das konnte ja auch ein Irrtum sein.
Die Wallfahrt beginnt
Als die Töne der Wandlungsglocke verklungen waren, lag ganz Obermauelsbach wieder im tiefsten Frieden. Nur draußen am Dotzweiler Wegkreuz, da zählten die »Verstoßenen« ihre Mannen, leider fehlte doch einer, es war ausgerechnet der dicke Emil. Sie luden ihre Habe in Willems Leiterwagen, und der wurde mächtig voll. Sie zählten ihre Kasse und nannten dreihundertsiebenundfünfzig Inflationsmark ihr eigen. Sie spannten Müllers Karo vor den Leiterwagen, sie hockten sich noch ein wenig an den Wegrain dahin, um auf den dicken Emil zu warten. Als er nicht kam, schimpften sie ein wenig auf ihn und nannten ihn einen dicken Faulpelz. Und dann läuteten in der Kirche alle Glocken: Der Segen war gekommen.
»Nun wird’s Zeit«, sagte Willem, »steht mal alle auf, jetzt beten wir erst unser Morgengebet !«
Die elf »Verstoßenen« traten zusammen. Mitten unter ihnen stand der kleine Theo und hielt in seinen Händen das Wallfahrtskreuz der Kevelaer-Bruderschaft. Die Jungen nahmen ihre Kappen ab. Willem machte ein großes Kreuzzeichen und betete erst mal aus Vorsicht, damit er nicht etwa steckenbleibe, das »Vaterunser«. Als das geklappt hatte, war er mutiger geworden und fing auch noch an »Alles meinem Gott zu Ehren !« aufzusagen. Beim dritten Vers merkte er aber, daß es nicht mehr recht weitergehen wollte, und da machte er es wie Lehrer Otto und sagte: »Los, alle zusammen !« Und da ging das auch gut. Ich glaube sogar, sagen zu dürfen, daß die elf »Verstoßenen« seit ihrer ersten heiligen Kommunion nicht oft so andächtig gebetet haben wie an diesem Morgen. Und wenn Müllers Karo bei der Strophe vom heiligen Joseph nicht so gemein dazwischen gebellt hätte, dann wären dem kleinen Theo tatsächlich die Tränen gekommen. So aber bekam Karo von Müllers Ludwig einen Tritt, und da mußte Theo lachen. Es war aber auch so noch recht feierlich. Zum Schluß machte Willem wieder ein großes Kreuzzeichen, und dann sagte er ganz unwallfahrtsmäßig : »Nun, nix wie ab !« In
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