Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Kohlstrünken und Dreckballen, wobei bald die einen, bald die anderen Sieger blieben. Das war schon seit Generationen so, und die »Verstoßenen« wußten wohl, was ihnen blühen konnte, wenn die Jugend von Möhrenbach schon aus den Betten war. Und sie war aus den Betten! Ja, was noch schlimmer war, die Uhr ging jetzt gerade so auf achte zu, und die Jungen und Mädchen des Dorfes waren alle unterwegs zur Schule.
»Wir müssen durch«, erklärte Willem, »also keine Bange nicht !« Aber die zwölf Obermauelsbacher hatten Bange genug, denn sie waren diesmal bedenklich in der Minderheit, und der kleine Theo meinte deshalb: »Sollten wir nicht beten ?« Die anderen lachten. — »Nein, ich mein das richtig, nicht dafür beten, daß wir sie verhauen, sondern weil wir doch auf Wallfahrt sind! Wir halten das Kreuz jetzt hoch und gehen ganz langsam wie ‘ne Prozession und beten den Rosenkranz! Da dürfen sie uns doch nichts tun !«
»Hast du ‘ne Ahnung !« antwortete Emil, »die verhauen uns auch, wenn wir beten! Ich mein, im vollen Galopp durchs Dorf, damit kämen wir weiter !«
»Richtig«, sagte Willem, »das meine ich auch! Also bis an die ersten Häuser, und dann eins, zwei, drei, los !« Und so wurde es gemacht. Wie die Feuerwehr rasten die zwölf »Verstoßenen« durch das feindliche Dorf. Weil die männliche Jugend von Mohrenbach gerade im Begriffe war, eine kleine »innerdörfliche« Meinungsverschiedenheit noch schnell mit den Fäusten zu erledigen, ehe die Schule begann, wurden die heranbrausenden » Dötschköppe « erst gar nicht bemerkt. Sie hätten sich bestimmt in Sicherheit gebracht. Aber da mußte das Unglück passieren, daß von Willems Leiterwagen, der bekanntlich nicht mehr der neueste war, ausgerechnet mitten in Mohrenbach sich das linke Hinterrad selbständig machte. Nun war die Sache finster.
Das linke Hinterrad von Willems altem Leiterwagen wurde zum Schicksalsrad. Es rollte quer über die Dorfstraße und traf einen Mohrenbacher »Hungerleider«, der im Kampfgetümmel gegen seine Dorfgenossen stand, vor das Schienbein. Im gleichen Augenblick war unter den »Hungerleidern« Waffenstillstand. Sie bestaunten das Rad und hielten Ausschau, woher es komme. Und da sahen sie zwölf Obermauelsbacher » Dötschköppe « verdattert um ihren verwundeten Leiterwagen stehen. In einem Augenblick schlossen die »Hungerleider« Frieden untereinander, und im nächsten Augenblick ertönte wiederum Kampfgeschrei, diesmal galt es den » Dötschköppen «. Diese scharten sich um ihren Wagen und setzten sich in den Verteidigungszustand. Willem hatte schnell das Kreuz von der Tragstange abgedreht, um mit der Stange dreinschlagen zu können. Aber zur Schlacht kam es nicht mehr. Denn in dem Augenblick, wo die Mohrenbacher zum Sturmangriff auf ihre Feinde losgehen wollten, begann vom Dache des Schulhauses die Glocke zu läuten. Die »Hungerleider« hörten es, stoppten ihren Sturmangriff ab und rannten auf den Schulhof. Schon wollten die zwölf »Verstoßenen« erleichtert aufatmen, da sahen sie mit Entsetzen, wie ihre Feinde das abgesprungene Karrenrad als Kriegsbeute mit in die Schule schleppten. Die zwölf Buben hätten heulen können. Traurig standen sie mitten auf der Dorfstraße, die nun wieder einsam und still dalag, und sie hörten ihre Feinde aus der Schule heraus ihr Morgengebet sprechen. Aller Augen hingen an Willem.
Der schraubte erst einmal das Kreuz wieder auf seine Stange und sagte dann: »Das ist ‘ne richtige Schweinerei !« Die anderen mußten ihm recht geben. Aber damit kam das Rad nicht wieder zurückgerollt. Traurig meinte der rote Philipp: »Ob die Karre nicht auf drei Rädern läuft ?«
Nachdem ein kurzer Versuch gemacht worden war, mußten alle diese Frage verneinen. Was nun; Schüchtern glaubte der kleine Theo noch den Vorschlag machen zu können, den Karren einfach dazulassen, und alles, was draufgeladen war, selbst nach Heiligkreuz zu tragen, aber der dicke Emil sah sich den kleinen und schmächtigen Theo einmal von oben bis unten an und sagte: »Daß gerade du das vorschlagen mußt, du Knirps, du kämst ja nicht einmal bis Ückersdorf !«
Die Wallfahrt schien zu Ende. Müde und traurig setzten sich die zwölf »Verstoßenen« auf die niedere Bruchsteinmauer, die den Schulhof von der Straße trennte. Traurig ließen sie die Köpfe hängen, sie baumelten mit den Beinen, daß die Absätze ihrer Schuhe gegen die Mauer knallten. Keiner sprach mehr ein Wort. Was sollte auch noch zu sagen sein!
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