Zwölf Wasser Zu den Anfängen
tragen. Endlich hatte er die Fackeln entzündet und Wigo und er folgten Reva in die Kühle des Bergs.
Die Höhle war wenig eindrucksvoll, kaum mehr als ein geräumiger Tunnel, den der Fluss sich über die Zeit in den Fels gegraben hatte. Die Männer konnten aufrecht gehen, wieder aus dem Wasser heraustreten und über glattgewaschenen Stein laufen. Dieser Fluss war einmal deutlich mächtiger gewesen oder aber er führte nur zur Schmelze größere Wassermassen – jetzt war er bloß ein flinker Bach, der um die Steine plätscherte.
Und mit einem Mal waren sie an seinem Ende. Beziehungsweise am Anfang: In einem schaumigen Strudel brach der Fluss aus dem Felsboden. War das die Quelle? War sie also nicht versiegt, sondern gerettet?
»Ab hier gehe ich allein«, sagte Reva. »Ihr würdet länger tauchen müssen, als euch guttut.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stellte sie sich in den Strudel und war verschwunden.
Die Männer waren verblüfft – und enttäuscht. Gerne wären sie mit bis zur Quelle gegangen. Aber Felt war auch erleichtert: Das Wasser sprudelte. Reva sprach wieder. So schlimm konnte es nicht sein.
»Bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als hier zu warten«, sagte er und ließ sich auf dem glatten Tunnelboden nieder. Wigo setzte sich zu ihm, sie schwiegen eine Weile vor sich hin und lauschten dem beruhigenden Blubbern des Wassers. Dann sagte Felt: »Du wolltest mir noch das Ende von Asing erzählen. Was aus ihr geworden ist, nach der Feuerschlacht. Nachdem Asli sich geopfert hatte für … uns.«
»Ach, habe ich das noch nicht erzählt?«
Felt verneinte. Wigo verschränkte die Arme und lehnte sich zurück gegen die Felswand.
»Nun«, sagte er, »es ist so …« Lächelnd schaute er Felt an, der sich auf eine weitschweifige Einleitung gefasst machte. »Ich habe keine Lust mehr, dir Geschichten zu erzählen. Du bist ein lausiger Zuhörer.«
Felt war perplex.
Wigo lachte, er platzte förmlich, das Lachen sprang aus ihm heraus und gegen die Höhlenwände, er konnte sich überhaupt nicht beruhigen und schließlich war es auch mit Felts Beherrschung vorbei und er fiel ein.
»Das war es wert«, sagte Wigo heiser und wischte sich die Tränen ab. »Felt, dein Gesicht!«
Er legte Felt einen Arm über die Schultern.
»Das muss ich mir notieren: gelacht mit einem Welsen. Man wird meinen Bericht für ein Werk der Fantasie halten.«
Felt sagte nichts, aber er lächelte immer noch. Lange war er misstrauisch gewesen. Er hatte Wigo alle möglichen Absichtenund Hintergedanken unterstellt, als sie beim Wein im Keller unter dem Theater gesessen hatten und Wigo ihn über die wahren Opfer und Täter in der großen Feuerschlacht aufgeklärt hatte. Wigo hatte um Verzeihung gebeten – für das, was damals geschehen war, und für das, was Pram den Welsen bis heute antat. Felt hatte gedacht, er sei betrunken. Nun saßen sie wieder beisammen, nicht beim Wein, sondern im fröhlichen Glucksen und Rauschen des Wasserstrudels, und Felt war nicht nur bereit, Wigo zu glauben, sondern auch, ihm zu verzeihen. Felts Leben hatte ihn gelehrt, Ablehnung auszuhalten – aber davon, wie man ein Freundschaftsangebot annahm, wusste er nichts. Dabei musste er nur das Misstrauen überwinden. So wie das Wasser, lebhaft und schäumend, durch den Stein brach, so hatte ihr gemeinsames Lachen endlich Felts Mauer des Misstrauens durchbrochen.
»Also gut.« Wigo nahm den Arm weg und beugte sich vor. »Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich etwas Herzzerreißendes versprochen.«
Felt nickte. »Das waren deine Worte.«
»Ja«, Wigo nickte ebenfalls, »es war leider so: Welsien war zerstört, Welsien war in Rauch aufgegangen, das fruchtbare Land glühte, die Luft war heiß und es regnete Asche. Das kwothische Heer kehrte in nahezu voller Stärke nach Pram zurück, die Menschen jubelten und in ihrem Siegestaumel sahen sie die Angst auf den geschwärzten Gesichtern der Soldaten nicht. Die Männer hatten etwas Ungeheures erlebt, durch sie waren Dämonen gesprungen, von so etwas erholt man sich nicht so schnell. Sie bezogen nicht einmal mehr Quartier – sie marschierten durch Pram hindurch und strebten heimwärts. Die Steppenläufer tauchten überhaupt nicht mehr auf. Man dachte, sie seien mit den Welsen verbrannt, aber ich habe Schriften gefunden, die anderes bezeugen. Es ist alles ziemlichwidersprüchlich. Wie auch immer: Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Steppenläufer ziemlich viel mitbekommen haben und sich so
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