Zwölf Wasser Zu den Anfängen
gesprochen.«
Sie brachte es fertig, hier in diesem Moor, umgeben von Ungeheuern, einen Ton anzuschlagen, als seien sie auf einer Abendveranstaltung.
»Sei nicht unhöflich. Steck das Schwert weg und komm her.«
Das klang schon weniger leichthin und Felt folgte der Anweisung. Er stieg ins Wasser, kam dem Lucher dabei aber nicht näher, denn der wich in dem Maß zurück, in dem Felt sich auf ihn zubewegte. Er hatte in seinem Leben schon viele entstellte Menschen gesehen, Verletzungen entzünden sich, Körperteile erfrieren, schlecht ernährte Mütter bringen missgebildete Kinder zur Welt – aber diese Wesen hier waren so abstoßend hässlich, dass er wegsehen musste. Er stand neben Reva, die ihr kaltes Licht auf fleckige, feucht glänzende Haut scheinen ließ, und betrachtete die Nähte seines Handschuhs.
»Ich habe ihnen erzählt, dass die Menschen sich geändert haben«, sagte Reva und hob sanft Felts Kinn. »Aber sie wollen mir nicht recht glauben. Du wirst es ihnen beweisen müssen.«
Felt rieb sich das Kinn und versuchte in Revas Lächeln zu lesen. Was verlangte sie von ihm?
»Du bist der Führer der Menschen, das wissen sie, das haben sie gesehen. Was du tust, tun alle Menschen, was du sagst, ist Gesetz – alle müssen dir folgen.«
Die Lucher schienen nicht besonders klug zu sein, wenn sie ihn für den Herrscher aller Menschen hielten, bloß weil er einen Trupp durchs Moor führte. Andererseits war das hier ihre Welt, von dem Rest kannten sie nichts – sie kannten nur die Sehnsucht, wenn man Wigo glauben wollte.
Felt löste seinen Blick von Reva und schaute auf die Lucher, was ein sofortiges Anschwellen des tiefen Gedröhns zur Folge hatte.
Der Anblick war entsetzlich. Aber es war nicht die Masse absurd gewinkelter Gliedmaßen, aufgeblähter Leiber, hervortretender Augen, die so verstörend war – es war das Menschliche in der Fremdartigkeit. Und das Verlangen, das sich auf ihn, Felt,richtete. Er war sich mit einem Mal seiner Größe bewusst, seiner Stärke, seines Körpers, den er trainiert hatte und der ihm zuverlässig diente, was auch immer er von ihm forderte.
Felt zog die Handschuhe aus und löste die Schnallen des Brustpanzers. Er zog auch Wams und Hemd aus und gab alles an Reva, die das Bündel ans Ufer brachte. Dann stand Felt allein im Tümpel, mit nacktem Oberkörper, und breitete die Arme aus.
Und dann kamen sie.
Zögerlich erst, aber als sie merkten, dass der Mensch sich nicht rührte, dass er die Augen offen hielt und stehen blieb, gab es kein Halten mehr. Von allen Seiten kamen die Kreaturen auf ihn zu. Sie sprangen ihn an. Sie fuhren ihm mit langen Fingern durch die Haare. Sie leckten ihm mit klebrigen Zungen das Gesicht. Sie hingen an ihm und befühlten ihn, pressten die kalte, schleimige Haut auf seine, tasteten in seine Ohren, seinen Mund. Hauchten ihn an mit fauligem Atem, stöhnten mit tiefen, vibrierenden Stimmen. Stiegen auf- und übereinander, um ihn zu erreichen, zu berühren, hängten sich ihm an den Hals und rissen sich gegenseitig von ihm los. Das Wasser des Tümpels kochte vom Begehren der Lucher, den Menschen anzufassen.
Bis zum Morgengrauen hatte Felt Welle um Welle des Ekels an sich hochschwappen lassen, dann war es vorbei und Stille legte sich über das Moor. Felt ließ sich auf ein weiß blühendes Mooskissen fallen und schloss die Augen. Er ließ sich von Reva den Schleim abwaschen. Er ließ sich von ihr zu trinken geben und sich ankleiden. Er wartete, bis der Dunst sich in die Mulden legte, und kehrte mit Reva zum Lager zurück.
Mit ihrem Erscheinen verging die allgemeine Unruhe, der Suchtrupp, den Gerder bereits losgeschickt hatte, wurde zurückgerufenund beim Frühstück herrschte eine beinahe gelöste Atmosphäre. Auch Felt ging es überraschend gut. Die Begegnung mit den Luchern war erschütternd gewesen, aber nun fühlte er sich zurechtgerückt, als habe ihm ein Kamerad mit einem beherzten Griff den Wirbel wieder eingerenkt, den er sich beim Training durch einen missglückten Hieb verdreht hatte. Reva hatte ihn nicht wegen der Lucher ins nächtliche Moor gelockt, sondern um seiner selbst willen. Es ging nicht um die Unmenschlichkeit der Kreaturen. Sondern um seine eigene.
Felt verzichtete darauf, seine und Revas nächtliche Abwesenheit zu erklären. Und keiner fragte, keiner hatte das Recht dazu. Felt war die Autorität, die niemand, nicht einmal Wigo, anzuzweifeln wagte. Diese Menschen würden ihm folgen, wohin auch immer er sie
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