Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Aber Reva lächelte ihn an und er spürte ihr Wohlwollen. Sie schien an ihn zu glauben, und das half.
»Genug geredet, ruht euch ein wenig aus. Die Ankunft in Wiatraïn war anstrengend. Nun, Laszkalis
ist
anstrengend. Er wird sich mittlerweile langweilen, ich werde zu ihm gehen.« Sie zog sich die Kapuze über. »Das ist in jedem Fall angenehmer, als wenn er einen zu sich holt. Es ist übrigens sinnlos, sich zu verstecken oder zu flüstern. Seine Aufmerksamkeit reicht weit. Laszkalis liest euren Atem. Ihm bleibt nichts verborgen. Er kennt eure Gedanken, weiß von euren tiefsten Ängsten. Mit jedem Hauch, der aus euren Lungen strömt, verratet ihr ihm mehr über euch, als ihr selbst je in Erfahrung bringen werdet.«
»Laszkalis?«, fragte Babu.
»Der Quellhüter«, sagte Felt und sah der Unda nach. »Lass uns ein etwas bequemeres Quartier suchen, dann erzähle ich dir von den Quellen und von der Bedrohung für uns alle … so gut ich kann. Und du wirst mir auch einiges zu sagen haben. Was genau ist ein Szasran?«
SECHSTES KAPITEL
FLAMMENTOD
Es war nicht leicht, etwas zu erklären, das man selbst nicht recht verstand, aber Felt versuchte es.
»Einige Quellen des Kontinents spenden mehr als Wasser. Durch sie fließt die Fähigkeit, zu hoffen, Freundschaften zu schließen oder freigiebig zu sein, in die Welt. Die Undae haben es uns, uns Welsen, gesagt: Es gibt zwölf solche Quellen und sie sind in Gefahr. Deshalb sind wir aufgebrochen. Außer Reva sind noch zwei andere Undae unterwegs, um die Quellen aufzusuchen und ihr Versiegen zu verhindern. Denn ohne die Zwölf Wasser, ohne die menschlichen Eigenschaften, die aus ihnen hervorsprudeln, hören die Menschen auf, Menschen zu sein. Ich glaube, dass kein Mensch alle diese guten Eigenschaften gleichermaßen in sich vereint, und ich kenne auch nicht alle Quellen, aber das Wichtigste ist: Weil es diese Quellen gibt, ist es für jeden von uns
möglich
, freundlich, freigiebig oder hoffnungsvoll zu sein. Ja, so kann man es sagen: Die Quellen sind eine Möglichkeit – es bleibt uns Menschen überlassen, was wir damit anfangen. Wenn nun aber eine Quelle versiegt, verschwindet die Möglichkeit aus der Welt und kein Mensch, niemand, ist mehr in der Lage, beispielsweise Freundschaftzu schließen, selbst wenn er es wollte. Es geht nicht mehr. Die Menschheit hat unwiederbringlich ein Stück ihrer Menschlichkeit verloren. Genau das war geschehen, als wir mit den Wölfen vor der Höhle kämpften. Die Freundschaft war bereits verloren. Ich weiß nicht, ob die Wölfe etwas mit dem Verschwinden des Quellhüters zu tun hatten. Nun, es ist, wie es ist: Der Hüter ist fort, die Quelle in der Höhle versiegt, wir waren zu spät.«
Felt sah, wie sehr seine Ausführungen Babu mitnahmen und auch, dass der junge Merzer viel schneller das Ausmaß der Katastrophe begriff, als es Felt gelungen war. Babu stellte keine Fragen und Felt erzählte noch von den Quellhütern, ihrer engen Bindung an die Quellen und dass Laszkalis auch ein solcher war. Dass er mit dem Wind gehen konnte, überallhin, gleichzeitig, und doch nur einer war, der Wanderer durch den Berst, einsam. Babu nickte und schwieg. Er war tief in Gedanken, als er den kleinen, kreisrunden Raum verließ, um am Himmel nach dem Falken zu suchen.
Felt hielt ihn nicht zurück. Er setzte sich auf einen glatt geschliffenen Sockel, der fünf oder sechs Schritte an der gewölbten Wand entlanglief und sich dann in den Boden senkte. Es hatte keinen Zweck, Babu auszufragen, noch nicht. Sie waren keine Freunde. Das, was Babu zu erzählen hatte, ging tief – zu tief, um es Felt anzuvertrauen. Felt musste abwarten, auch wenn er deutlicher denn je das Gefühl hatte, dass ihnen die Zeit davonlief.
Er spähte durch einen der vielen Durchlässe in der umlaufenden Wand und sah Babu draußen am Boden im Schatten eines anderen Kugelbaus sitzen und in den Himmel starren. Er hörte Babu husten – sonst nur das Plätschern des Brunnens; es war vollkommen windstill. Felt lehnte sich zurück, er war erschöpft. Indem er Babu von den Quellen erzählt hatte, war ihm selbst die Aufgabe wieder klar ins Bewusstsein gerückt.Er erinnerte sich an das nächtliche Gespräch mit Estrid, kurz nachdem der Chor der Undae die große Grotte erfüllt hatte. Estrid hatte nicht glauben wollen, dass die Hohen Frauen den Grund für die Bedrohung nicht kannten.
Wir müssen die Ursache finden. Wir müssen den einen Anfang finden.
Aber wie?
Er schloss die
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