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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Ihr Blick senkte sich. »Ich wusste, dass ich in Wiatraïn Antworten finden würde, deshalb bin ich hergekommen. Dass ich sie hier in diesem Buch finden würde, ahnte ich nicht.«
    Sie wanderte nun in einem Kreis an der Wand entlang, hielt das Buch mit beiden Händen in ihrem Rücken.
    »Rückblickend verliert die große Schlacht ihre Bedeutung, denn sie war keine. Das ist bekannt, wenn auch nicht vielen. Es war nicht im Interesse der Allianz, die Wahrheit über diese Auseinandersetzung zu verbreiten. Auch das ist nichts Neues,der Krieg und die Lüge treten immer als Paar auf. Es gibt viele Paare, die sich um dieses Ereignis   – die Feuerschlacht und die Vernichtung der Welsen   – vor über hundert Soldern gruppieren; es ist eine komplizierte Konstellation, die Wigo zu verstehen versucht hat. Ich werde gründlicher lesen müssen, um seine Gedankengänge nachzuvollziehen, aber so viel ist klar: Im Zentrum stehen sich Asing und Asli gegenüber, das Zwillingspaar. Ihr Zusammenprall hat den Kontinent so sehr erschüttert, dass die Auswirkungen bis heute spürbar sind. Am schwersten in Mitleidenschaft gezogen worden sind damals Sardes und Palmon   – denn mit ihnen bildeten sich die nächsten Paare: Palmon und Asing, Sardes und Asli. Das hat sich alles gegenseitig bedingt, alles hängt mit allem zusammen   … das hat Wigo gesagt, nicht wahr?«
    »Ja, so in der Art   …« Felt war verwirrt   – Paare? Er versuchte sich zu erinnern. »Wigo hat gesagt, er habe alles durchschaut, begriffen   …
Ich weiß jetzt, wie alles mit allem zusammenhängt.
Das waren seine Worte, glaube ich. Ich dachte, er würde fantasieren, im Fieber.«
    »Hm«, machte Reva und schaute wieder ins Buch, ihr Blick saugte sich fest.
    »Sardes und Asli?«, fragte Felt. Reva schaute irritiert auf, Felt wiederholte: »Sardes und Asli   – waren ein Paar?«
    »Ja, natürlich.« Sie lächelte. »Sie interessierten sich beide für dasselbe, fürs Wasser. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen bei der Ausübung ihres Berufs näherkommen.«
    »Sicher nicht. Aber Sardes   …«
    »Sardes war einer der beeindruckendsten, schönsten Männer seiner Zeit. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Hüter enthaltsam sein muss. Manche sind es, Sardes ist es nicht. Utate ist der beste Beweis dafür. Und bevor du fragst: Asli ist nicht Utates Mutter, das wäre schlecht möglich, Utate ist um einige hundertSoldern älter als die Segurin. Sie stammt aus einer früheren Verbindung   – Sardes hatte viel Zeit, sich den Frauen zu widmen. Und alle, alle seine Frauen und alle seine Kinder, hat er sterben sehen. Bis auf eines. Du kannst vielleicht nachempfinden, welche Erleichterung es ihm verschafft, dass wenigstens eine Tochter ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit überleben wird.«
    Felt schwieg. Strems platzender Schädel, die geifernde Schnauze eines Wolfs, die nach Ristra schnappt   … Das eigene Kind sterben zu sehen war der schlimmste Schmerz, den er sich vorstellen konnte. Ja, er verstand Sardes.
    »Ich werde dir etwas Wasser holen«, sagte Reva.
    Felt wollte abwinken, sie sollte ihn nicht bedienen, aber sie war schon auf dem Weg. Er blieb sitzen und versuchte, die durch seinen Kopf wehenden Gedankenfetzen einzufangen und zu sortieren.
     
    Weit war er nicht gekommen, als Reva mit dem gefüllten Becher zurückkehrte. Das Wasser in Wiatraïn schmeckte so frisch, so rein, dass Felt sich fragte, wie er jemals wieder etwas anderes trinken sollte. Alles würde schal und abgestanden sein im Vergleich hierzu.
    Er fragte: »Was wurde aus Asli, nachdem sie sich geopfert hatte?«
    »Eine gute Frage«, lobte Reva mit der Erleichterung einer Lehrerin, deren schwierigster Schüler endlich den Anschluss gefunden hat. »Du hast offenbar verstanden, dass eine Geschichte nicht zwangsläufig endet, bloß weil jemand stirbt. Im Fall der Schwestern ist das wesentlich für das Verständnis von allem, was folgt. Aber willst du dir das nicht von Wigo selbst erzählen lassen?«
    Felt stutzte und schaute zur Nische, durch die Reva den Raum betreten hatte.
    Wigo?
    Aber da war niemand. Reva lachte auf.
    »Felt! Dass Wigo von den Toten aufersteht, das wäre zu viel verlangt. Es ist außerdem nicht nötig, er ist ja noch hier.« Sie tippte aufs Buch. »Ich lese dir vor. Ich beginne ein wenig vor Aslis Tod   … Das hier scheint ein guter Einstieg zu sein.«
    Felt lehnte sich wieder zurück gegen die Wand und schloss die Augen. Ja, es wäre zu viel verlangt, Wigos Tod

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