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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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vor wurde er von der alten Szasla versorgt, aber sie brachte die Beute nun lebend, und kaum dass sie sie hatte fallen lassen, stürzte sich der Jungvogel darauf, tötete das zappelnde Tier mit einem Schnabelhieb, zerriss es und fraß alles hinunter. Nichts ließ er übrig, kein Fetzchen Fell, keine Knochen. Aber nach einer kurzen Verdauungspause würgte er kleine, haarige Bälle aus, die Babu dann wegräumen musste. Sonst gab es nicht viel zu tun   – die Kafur hatte er, bis auf wenige schwächere Tiere, aufgeteilt und in die Obhut anderer Hirten gegeben. Nun saß er im staubigen Gras vor seinem Zelt, sah tagein, tagaus auf den jämmerlichen Rest seiner Herde und war oft sogar zu träge, um nach den Fliegen zu schlagen, die über seine schweißfeuchte Haut krabbelten. Dass Jator sich blicken lassen würde, glaubte Babu nicht mehr. Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, hatte sich verflüchtigt. Babu sah keine Spur, er sah kein Glück. Er sahnicht einmal mehr den Horizont, sondern nur den Zaun seines Pferchs. Er war kein Hirte mehr. Aber ein Falkner war er auch nicht. Er war nicht mehr als der Wächter dieser jungen, grau gefiederten Szasla, die nichts tat, außer fressen, wachsen und würgen.
    Dennoch konnte er Juhut nicht allein lassen. Schon der Gedanke, auf sein Pony zu steigen, einen kurzen Ausritt zu machen und dabei den Falken aus den Augen zu lassen, bereitete Babu ein beinahe körperliches Unbehagen.
    »Wenn du erst fliegen kannst, wird es besser werden«, sagte Babu mit Blick auf Juhut, der inmitten einer Staubwolke am Boden hockte und mit den Flügeln schlug. Als er nun damit aufhörte, senkte sich der Staub. Juhut drehte den Kopf, ein goldenes Auge starrte Babu an.
    Und dann hörte Babu zum ersten Mal Juhuts Stimme   – tief und heiser wie die eines alten Mannes:
    »Die Sachen.«
    Babu sog Luft ein. Schmerz überwältigte ihn, er beugte sich vor, legte die Stirn gegen die Knie. Es fühlte sich an, als ob ihm jemand den Schädel einschlug   – von innen.
    »Was für Sachen?«, flüsterte er.
    »Balk. Die Sachen.«
    Babu übergab sich. Seine Augen tränten, der Rotz lief ihm aus der Nase. Er hob eine Hand.
    »Bitte   …« Er atmete. Versuchte den Schmerz zu kontrollieren. Und die Angst vor dem nächsten Wort.
    »Bitte«, sagte er wieder, die Kehle rau vom sauren Erbrochenen, »sprich nicht, ich bitte dich. Wir gehen zu Meister Balk.« Er schluckte. »Wir holen deine Sachen. Gleich.«
    Babu presste die Daumen gegen die Enden seiner Augenbrauen, rechts und links der Nasenwurzel, fest, instinktiv, so wie man den Finger, in den man sich geschnitten hat, in denMund steckt. Juhuts Worte, zu einem scharfkantigen, glühenden Stein verdichtet, hörten langsam auf, in Babus Schädelrund zu rotieren. Er wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht. Der glühende Stein lag nun still und schwer in seinem Kopf. Dann, wie ein Klumpen harter Erde unter einem heftigen Regenguss, löste sich der Schmerz, zerfloss und sank als feines, weiches Sediment in die Falten der Erinnerung.
    Babu rieb sich den Nacken. Wie kam es, dass Juhuts Worte ihm solche Schmerzen bereiteten? Musste er das Sprechen vielleicht genauso lernen wie das Fliegen und das Jagen? Was auch immer der Grund war, der Schmerz hatte Babu aus seiner Trägheit gerissen. Es gab etwas zu tun. Babu überlegte. Wie sollte er Juhut tragen? Der alte Falknerhandschuh war beim Meister. Kurz entschlossen zückte er seinen Dolch und schnitt eine Bahn aus seinem Zelt, wickelte sich das Leder um den Arm und machte eine provisorische Schlinge, um ihn zu fixieren.
    »Versuchen wir’s.«
    Juhut hüpfte und flatterte, beim Landen zerriss er Babus Hemd mit seinen Klauen und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht, aber schließlich saß er.
    »Gut«, sagte Babu und schwankte, »gehen wir also.«
     
    Babu und Juhut erregten einiges Aufsehen. Obwohl ganz Bator Ban längst von den Vorgängen im Pferch wusste   – die Hirten erzählten beim Bier die abenteuerlichsten Geschichten   –, war es doch noch einmal etwas anderes, den hochgewachsenen Babu mit seinem großen Vogel durch die Gassen gehen zu sehen. Babu schaute streng geradeaus, sein Ausdruck war ernst, was an dem Bemühen lag, mit der ungewohnten Last auf dem sich lösenden Lederlappen nicht zu stolpern. Der Schmerz, den die Worte der jungen Szasla ihm zugefügt hatten, war vollkommen vergangen. Er fühlte sich klar, wie geläutert und neuausgerichtet. Juhut drehte unaufhörlich den Kopf und beäugte alles und

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