Zwölf Wasser Zu den Anfängen
antwortete er trotzig. »Ganz außer Atem kam er angerannt, etwas Wichtiges hätte er für den Thon. Sie haben kurz geredet, dann hat mich Großvater hierhergeschickt. Ich kann nämlich schnell laufen und bin dabei leise wie sonst keiner.«
Babu war blass geworden, während der Junge sprach. Er fühlte, wie seine Beine kraftlos wurden. Er machte ein paar Schritte rückwärts, um das Schwanken abzufangen, doch das gelang ihm nicht, er strauchelte, er fiel, er saß, die Schultern schlaff, den Kopf gesenkt. Jator! Das konnte, das durfte nicht sein! Jator hatte von allem gewusst? Meister Dant ließ den Jungen fallen.
»Behalt ihn im Auge«, sagte er zu Juhut. Der Falke stellte einen Klauenfuß auf die Brust des am Boden liegenden Kolra,drehte den Kopf und nagelte ihn fest mit dem Blick eines lidlosen Auges.
Dant wandte sich Babu zu: »Wir müssen jetzt schnell handeln.«
Babu blieb sitzen.
»Babu! Reiß dich zusammen!« Dant zog ihn hoch, stellte ihn auf die Füße, schüttelte ihn, ließ ihn nicht los. »Hör mir zu, Babu: Du musst fort, auf der Stelle. Du hast gehört, was Kolra gesagt hat – der Thon wird dich töten lassen. Er
muss
dich töten lassen, verstehst du? Ich kann den kleinen Lauscher hier für eine Weile festhalten, aber wenn er nicht zurückkehrt, kommen sie ihn suchen. Du kannst nicht zurück zu deinem Lager, ich lass dir ein paar Sachen zusammenpacken.«
Er rief nach seinen Söhnen und gab schroffe Anweisungen. Babu war immer noch gelähmt, der Meister hielt ihn bei den Schultern. Fort? Dant zerrte ihn mit sich ins Zelt, weg von den feinen Ohren des Jungen.
»Babu, hörst du mich?«
Babu nickte, sprechen konnte er nicht.
»Folge nicht dem Fluss, sie werden deine Spur zu leicht finden können.«
Babu hob den Kopf, sah Dant an. Was wollte dieser Mann von ihm?
Dant fluchte, sprach in Babus Ohr, flüsterte, so eindringlich, als wolle er seine Worte dem jungen Mann durch seinen verstörten Geist hindurch tief ins Gedächtnis drücken.
»Nicht den Fluss entlang. Reite in die Berge, Babu, dann halte dich immer nach Osten. Geh, geh immer weiter, nach Osten. Merk dir das: Geh erst hoch in die Galaten, dann in den Sonnenaufgang. Immer weiter. Geh jeden Tag nach Osten. Bis der weiche, weiße Regen fällt, dann schicke den Falken aus. Wenn der weiße Regen fällt, musst du die Berge verlassen, hörst du?Schicke den Falken aus, er soll nach der Stelle suchen, wo die Merz einen Bogen macht, einen weiten Bogen nach Süden. Sie ist dort nicht breit und weniger tief, dennoch wirst du schwimmen müssen. Hörst du, Babu? Du musst den Fluss überqueren. Wenn die Berge weiß werden, nicht eher!«
Babu nickte wieder. Die Berge. Über den Fluss.
Meister Dant ließ ihn los, ging auf und ab, überlegte.
»Sie werden dich überall suchen … Die Ebene bietet dir wenig Schutz. Nein, nein. Du kannst nicht über den Fluss. Ich bin ein Narr … Es ist zu gefährlich. Du musst in den Galaten bleiben.«
Er sprach jetzt mehr zu sich selbst als zu Babu.
»Aber wir können dir dort nicht helfen, wir können dich dort nicht finden, nein, niemand kann dich dort finden … Firsten in den Bergen, der arme Junge.«
»Meister«, sagte Babu, in dessen Kopf nach dem Schmerz eine Düsternis gezogen war. »Wieso sollte ich über den Fluss gehen?«
»Vergiss das, Babu.«
»Nein«, sagte Babu und Dant blickte ihn an. Ein entfernter Verwandter, kein wirklicher Merzer aus dem Langen Tal und ganz sicher kein Sohn des Friedens. Kein Junge mehr. Vielleicht könnte er es schaffen, vielleicht könnte Babu dem Firsten trotzen und es überleben.
»Kennst du das Lange Tal?«, fragte Dant.
»Wie mich selbst.«
»Und was kennst du noch von der Welt?«
»Nichts.«
Meister Dant nickte. So weit, so groß, so grenzenlos war ihr Land, aber …
»Im Süden Berge, im Norden Berge. Im Westen die Anstiege und … Berge. Aber im Osten, im Osten wird das Tal weit undhört auf, ein Tal zu sein. Dort fließt die Merz in den See, den See von Pram. Dort sind Sümpfe, dort ändert sich das Land. Da ist kein Thon mehr. Aber das ist nicht das Ende der Welt, die Welt geht weiter, wo kein Thon ist.«
Meister Dant brach ab. Er zögerte. Babu schwieg und er schwieg so nachdrücklich, dass Dant schließlich doch weitersprach.
»Hinter dem See, hinter den Sümpfen, weit im Osten ist ein Land, am Fuße der nördlichen Berge, ein Grasland wie unseres, meine Vorväter haben es durchwandert. Die alten Geschichten erzählen von Gras, von Licht
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