Zwölf Wasser Zu den Anfängen
und vom Schatten der Wälder. Und von einem stolzen Volk, von Hirten, Jägern und Reitern, welche die Freiheit so sehr lieben, dass nicht einmal der Sohn dem Vater gehorcht. Das ist unser Ursprung, in dir ist dieses Erbe lebendig. Ich kann es sehen, ich habe es immer schon gesehen.« Sein Blick wurde stumpf, schwamm in eine andere Zeit. »Es hat alles nichts genützt, Solder um Solder hat der Thon es wiederholt … Sohn des Friedens. Er hat dich wachsen sehen, genau wie ich hat er dich beobachtet und darauf gewartet, dass du wie dein Vater wirst. Aber du bist ihm nicht ähnlich geworden, in dir ist eine ferne Vergangenheit gewachsen, eine Sehnsucht nach Freiheit, unausrottbar. Du bist die größte Bedrohung für den Thon, der er sich je gegenübersah. Finde dieses Land, Babu, oder du wirst niemals sicher sein.«
Weit im Osten. Ein Land. Ein Ursprung. Die Worte des Meisters fielen eins nach dem anderen in Babus Bewusstsein. Jemand warf Steine in einen See, und wo sie in die Tiefe sanken, störten Kreise die glatte Oberfläche. Er war kein Hirte mehr und auch kein Falkner. Babu war eine Bedrohung. Und die Ahnung war Wirklichkeit geworden: Er musste das Lange Tal verlassen.
»Aber«, sagte Babu, »was wird aus Euch, Meister?«
»Darum mach dir keine Gedanken«, sagte Dant und versuchte ein Lächeln. »Ich habe mich schon aus ganz anderen Situationen herausgeredet. Und glaubst du im Ernst, der Thon wird seinem besten Gerber etwas antun? Was soll er denn gegen sein Holz tauschen, wenn ich nicht mehr arbeiten kann? Sei unbesorgt. Und nun: Reite, so schnell du kannst.«
»Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll.«
»Mir danken? Wofür? Dass ich dein Leben umkremple? Dass du dich davonstehlen musst wie ein Dieb? Ich bin es, der in deiner Schuld steht, Babu. Ich konnte nicht anders. Ich konnte dem Sterbenden nicht den letzten Wunsch verwehren.«
»Es ist gut«, antwortete Babu. »Ich mag unwissend sein, aber ich kann den Boten von der Nachricht unterscheiden. Der Thon hat dieses Unglück über uns gebracht. Und Jator, Jator hat mich in diese Nacht gestoßen.«
Er trat hinaus vors Zelt, es war höchste Zeit, Abschied zu nehmen. Der Junge saß, einen Sack über dem Kopf, die Hände hinter dem Rücken an eine Zeltstange gefesselt, still am Boden. Babu stieg über ihn hinweg. Sein Pony war bepackt, einer der Söhne Dants hielt es am Zügel, er wollte Babu ein Stück führen, damit er gut aus dem Gerberviertel hinausfand. Babu saß auf und hob den Arm; aus dem Dunkel über den Zeltdächern kam Juhut angeschwebt.
Die ganze Szenerie war unwirklich – Babu konnte sich selbst dabei beobachten, wie er dem Meister zum Abschied winkte, das Pony wendete, wie Fackeln, Laugenbottiche, Häute an ihm vorüberglitten, als wären es die Dinge, die sich bewegten, während er stillstand. Das war ein Abschied für immer. Das alles sah er nun ein letztes Mal. War das so?
Und seine Mutter, würde Babu sie wiedersehen? Was hatte sie
in ihm
gesehen? Hatte sie sich von ihm abgewandt, weil er dem Vater nicht ähnlich geworden war? Weil ein anderes Erbein ihm gewachsen war? War es Babus Schuld, dass sie ihn allein gelassen hatte mit seinen Fragen und seinen Zweifeln? Sie hatte das Loch nie gefüllt, das der Vater in Babu hinterlassen hatte. Sie hatte nicht mehr geheiratet, sie hatte sich geweigert, den Vater zu ersetzen, weder durch einen neuen Mann aus Fleisch und Blut noch durch einen, der in der Erzählung lebendig geworden wäre. Erst jetzt, als der Wunsch nach Trost Babu an seine Mutter denken ließ, sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein: Nicht er war es, der sie nun verließ. Sie hatte ihn verlassen, schon vor langer Zeit.
Und Jator hatte ihn verraten.
Babu war zu aufgewühlt, um wirklich nachdenken zu können. Er verstand nicht, was seine Mutter umtrieb, was Jator umtrieb. Er verstand nur, dass das Glück ihm endgültig abhanden gekommen war. Er war von Lügen umstellt. Er war kein Sohn des Friedens und das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Außerhalb der Gruben und der letzten, schwach erleuchteten Zelte des Gerberviertels stand die Nacht wie eine schwarze Wand.
SIEBENTES KAPITEL
RITT DURCH DEN REGEN
Babu lenkte sein Pony dorthin, wo die Nacht am tiefsten war. Weg von den Fackeln des Gerberviertels, weg von der Stadt, deren Herrscher ein Mörder war, die das Zuhause war von Verbrechern und Verrätern. Die Nacht dagegen war ehrlich, sie war schwarz und versuchte nicht, mit Mondschein oder Sternengefunkel
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