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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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ihr wahres Wesen zu überstrahlen. Der Himmel war tief verhangen, als habe der Große Hirte ein dichtes Tuch über das Lange Tal geworfen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie unten in der Ebene die Wölfe das Kalb rissen, das sich immer weiter von der Herde entfernte.
    Wie passend, dachte Babu finster, als ein starker Regen einsetzte, der ihm mit kalten Nadeln ins Gesicht stach. War dieser Lendern nun zu Ende. Wie alles andere auch.
    Das Pony fiel vom Galopp zurück in einen leichten Trab. Er trieb es nicht an, es war zu dunkel für einen schnellen Ritt und er musste das Tier schonen, wenn er überhaupt eine Chance haben wollte, seinen Verfolgern zu entkommen. Es war ohnehin erstaunlich, wie zäh dieses Pony war und wie treu es ihn trug. Ihn, der immer größer und schwerer geworden war mit den Soldern. Er hat dich wachsen sehen, echoten Dants Wortein Babus Innerem, er hat die Sehnsucht nach Freiheit in dir wachsen sehen, unausrottbar.
    War er denn nicht immer frei gewesen? Hatte er nicht immer tun können, wonach ihm der Sinn stand? Jator jedenfalls hatte das immer behauptet.
Dankbar
hatte er sein sollen   … Und Babu hatte es beinahe selbst geglaubt, hatte seinen Unmut und sein Misstrauen kindisch genannt. Bis heute. Bis Dant das Wort gesagt hatte, in dem alles zusammenkam. Sehnsucht. Endlich, in Regen und Dunkelheit, begriff Babu, dass Freiheit mehr war, als tun und lassen zu können, wonach einem der Sinn stand. Er erkannte, was einen Tagedieb von einem wahrhaft freien Menschen unterschied   – mochte der eine auch ohne Sorgen sein und der andere gefesselt, darauf kam es nicht an. Es war der
Gedanke
, der den Unterschied machte. Mit dieser Einsicht breitete sich noch etwas in Babu aus: der Wunsch nach Vergeltung, nach Rache. Nicht fassbar zunächst und, wie so oft, in den Mantel der Gerechtigkeit gekleidet. Sein Onkel war ein Mörder und musste für seine Tat bestraft werden, ob er nun selbst das Messer gegen seinen Bruder geführt hatte oder nicht. Denn auch hier zählte der Gedanke, die Absicht. Es war nur die innere Ausrichtung, die den Unterschied machte, in der Freiheit wie im Verbrechen.
     
    Das Pony verlangsamte die Gangart. Es spürte, dass sein Reiter sich weit entfernt hatte. Wozu sollte es laufen, wenn das nicht von ihm verlangt wurde? Es würde stehen bleiben, den Kopf hängen lassen und sein Hinterteil in den Wind drehen, damit er ihm nicht den kalten Regen in die Nüstern blies.
    Aber das ließ Juhut nicht zu. Sein Pfiff holte Babu zurück in die Nacht und das Pony trabte wieder los.
    »Ich sehe nichts«, sagte Babu leise zum Falken auf seinem Arm, vielleicht dachte er es auch nur. Nicht einmal den Vogelselbst konnte er mehr erkennen, er spürte nur sein Gewicht. Er ließ die Zügel durch die Finger gleiten und fasste ihm mit der rechten Hand ins Brustgefieder. Das tat er sonst nie, Juhut konnte es nicht leiden, berührt zu werden, und der scharfe Schnabel, die Klauen, die ausdruckslosen Augen verleiteten auch nicht zu Liebkosungen. Aber all das sah Babu jetzt nicht, er war blind im totalen Schwarz, er spürte nur die trockene Wärme im dichten Untergefieder auf Juhuts Brust und fühlte sich getröstet. Niemals würde der Falke ihn verlassen, niemals ihn verraten.
Dein zweites Herz wird das erste nähren. Das eine so groß wie das andere, beide schlagen gleich.
Du musst uns führen, dachte Babu und nahm die Hand aus den weichen Daunen. Wie Juhut das machen sollte, ob er etwas erkennen konnte, ob er die Richtung wusste   – Babu hatte keine Ahnung. Also glaubte er einfach. Glaubte an die besonderen Fähigkeiten eines Wesens, das aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt stammte und das nun, da Babus Welt zerfiel, das Einzige war, an das er sich halten konnte.
     
    Er war im Sattel eingeschlafen, nicht zum ersten Mal. Alle Hirten dösten auf den Rücken ihrer Ponys, wenn die Sonne zu Mittag vom Himmel brannte, wenn über den Gräserspitzen die Luft flirrte und es zwischen den Halmen zirpte. Aber Mittag war es noch nicht, schwer hingen graue Wolken im Dämmerlicht des gerade erst beginnenden Tags. Babu hatte geruht, für ihn war ein Reitschlaf genauso gut wie einer auf der Matte im Zelt, aber das Pony brauchte dringend eine Pause. Juhut breitete die Schwingen aus, hob ab, stieg hoch ins Grau. Er würde jagen.
    Babu sattelte ab. Der Meister hatte ihm ein Reisezelt mitgegeben, gerade groß genug, um sich hineinzulegen. Babu warf es dem Pony über, denn es regnete immer noch. So gab es vorerst

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