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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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Schatten wiederum saß etwas anderes. Das war das Kind oder das, was Babu für ein Kind gehalten hatte. Es war nicht allein. Sosehr Babu sich auch anstrengte, er konnte nichts erkennen, aber er fühlte deutlich, dass er beobachtet wurde. Das Dunkel umschlich ihn und hatte Augen, und was es sah, den zitternden, kauernden, verstummten Babu,das sah auch der Thon. Er hatte es nicht nötig, sich umzuwenden. Er konnte alles sehen und er konnte auch sprechen:
    »Du kannst mich hassen, wie du willst, du kannst gegen mich aufbegehren, aber du kannst nichts gegen mich tun. Deine Gedanken gehören dir. Aber dein Handeln bestimme ich. Was glaubst du eigentlich, wer ich bin?«
    Ein Mörder, schrie es in Babu, ein feiger, heimtückischer Mörder und ein Betrüger. Betrogen hast du mich und den Bruder und dein ganzes Volk. Tränen liefen ihm über die Wangen, die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Aber er blieb still auf den Knien sitzen. Er war den Blicken des Schattens ausgesetzt, der ihn umkreiste, der an der Zeltwand entlanglief, der ihn umhuschte auf kleinen Füßen. Oder auf Pfoten. Dieser Schatten, der körperlos war und doch bewegt, lautlos und doch hörbar. Den Babu wahrnehmen konnte mit einem neuen Organ, einer feinen Membran, die seinen Körper umgab wie eine Eihaut und die aus seiner Furcht gewachsen war.
    So eingehüllt in seine eigene Angst, kniete Babu vor seinem Thon, der nach wie vor mit dem Rücken zu ihm stand, in der Mitte des Zelts, den Kopf gesenkt. Er schaute auf etwas, was zu seinen Füßen lag.
    »Deine Undankbarkeit kränkt mich, Babu, und dein Unverständnis betrübt mich. Habe ich dir nicht alles gegeben? Du hast ein Leben gehabt, von dem ganze Generationen von Männern nur träumen konnten. Ein Leben in Frieden und Wohlstand. Ein solches Leben verlangt Opfer.«
    Jetzt erkannte Babu, auf was der Thon blickte. Auf dem Boden lag ein Körper, bedeckt mit einem Tuch.
    »Ich habe dich für klüger gehalten. Ich dachte, du hättest erkannt, wo dein Platz ist und was der Preis ist für das Leben, das du führen konntest: Du musst vergessen. Du musst
vergeben
. Ich bin ein großzügiger Mann, ich gebe dir eine letzte Gelegenheit:Ich frage dich, Badak-An-Bughar aus dem Clan der Bator, nimmst du dein Opfer an?«
    Der Thon beugte sich hinab, griff das Tuch, bereit aufzudecken, was darunter verborgen war. Die Erkenntnis durchschoss Babu wie ein Pfeil: Unter dem Tuch, zu Füßen des Thons, lag sein Vater. Lag der tote Körper des Vaters, dem er nie begegnet war.
    Mit einer Hand am Leichentuch wandte der Thon langsam den Kopf und blickte Babu über die Schulter hinweg an.
    Er hatte kein Gesicht.
    Jedenfalls nicht das Gesicht eines Menschen. Es war eine Wolfsfratze, die Babu angrinste, mit hochgezogenen Lefzen. Die rot glühenden Augen des Dämons brannten so heiß, dass Babu unwillkürlich die Arme vors Gesicht hob. Das schwarze Wolfsgesicht hatte immer noch eine perverse Ähnlichkeit mit dem Thon, es war eine abartige Verwandtschaft zwischen beiden. Das Grausen vor der kauernden Gestalt erschütterte Babu, umklammerte sein Herz.
    Dann brach die Wut aus ihm heraus und zerriss die zähe Hülle der Angst, die ihn bewegungsunfähig gemacht hatte, seitdem er in diese Zwischenwelt geraten war. Seine Wut war älter als seine Furcht und weit mächtiger, als er geahnt hatte. Er brüllte. Schrie wie ein Wahnsinniger, schrie, dass sich ihm die Lungen ausstülpten und der Kopf zu zerplatzen drohte, er schrie nur ein einziges Wort:
Nein
.
    Ein einziges großes, schmerzhaftes Nein.
    Niemals konnte Babu den Mord akzeptieren. Niemals dieses Opfer bringen: dem Thon seine Tat vergeben.
    Der Wolfs-Thon heulte, richtete sich auf, wandte sich vom Toten ab und dessen Sohn zu. Er senkte die Schultern. Er reckte den großen Schädel vor. Er war ganz Spannung, war Bestie, bereit zum Sprung. Babu brüllte immer noch; so, wie er ebenkeinen Ton herausgebracht hatte, konnte er jetzt nicht aufhören, seine Qual dem Monster entgegenzuschleudern. Es war alles, was er hatte, alles, womit er sich gegen das Grauen verteidigen konnte und gegen den Angriff, der jetzt bevorstand und der ihn niederreißen würde.
    Der Dolch! Nimm den Dolch.
    Eine Eingebung. Aber eine, die schmerzte, mehr noch als Brust und Kehle.
Dolch
. Das Wort hämmerte Babu gegen die Schläfen, aber endlich griff er sich an den Gürtel. Und als der Wolfs-Thon auf ihn zusprang, mit einem unmenschlichen Grollen, die Kiefer weit aufgerissen, die Ohren angelegt, mit fliegenden Zöpfen

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