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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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geborgen.
    Dann fiel ein Schatten auf sein Gesicht, das vor Kurzem noch jung und schön und ein Mädchentraum gewesen war, von dem sich nun aber verbrannte Haut in Fetzen schälte. Ein Gewicht legte sich auf Babus Brust, ein schwerer Albtraum drückte ihm die Rippen nieder und das Mädchen löste erschrocken die Umarmung und erblasste. Schnee, nichts weiter.
    Babu öffnete die Augen. Juhuts scharfer Schnabel schwarz gegen gnadenlos blauen Himmel   – leuchtend gelb wie eine Sonne das starre Auge des Vogels.
    »Lass mich.«
    Niemals. Juhut schlug mit den Flügeln, er konnte Babu nicht tragen, dazu reichte es nicht, aber aufrichten konnte er ihn, zum Sitzen konnte er ihn zwingen. Ein blutiger Klumpen landete in Babus Schoß.
    »Das kann ich nicht.«
    Juhut flog eine elegante Schleife und landete irgendwo im Stein außerhalb von Babus Gesichtsfeld. Dem Falken ging es bestens, Höhe konnte ihn nicht beeindrucken, mit den wechselnden Winden spielte er. So sah es jedenfalls aus, wenn er vorausflog, um einen Weg zu finden, den der Mensch unterihm bewältigen konnte. Oder nun nicht mehr bewältigen konnte? Babu sah mit Abscheu auf den rohen, faserigen Fleischbrocken. Er wusste nicht, was es war, womit Juhut ihn versorgte, seitdem seine Vorräte aufgebraucht waren. Babu sah kein Leben in diesem Stein und diesem Schnee. Welches Geschöpf sollte hier leben? Hier sterben, das war schon eher vorstellbar, der Tod war ein Leichtes ohne Luft, ohne Schlaf, ohne Hoffnung. Das Fleisch lag warm in Babus Hand. Es war ein Teil von etwas, das gerade erst getötet worden war, man konnte das Leben darin noch spüren. Babus Widerwillen schlug in Ekel um. Schnell stopfte er sich den Brocken in den Mund und schluckte, ohne zu kauen. Juhut würde keine Ruhe geben und betrügen ließ er sich auch nicht. Babu wusste, dass der Falke ihn beobachtete. Kaum hatte er den einen Brocken heruntergewürgt, fiel der nächste vom Himmel. Er würde essen müssen, bis Juhut beschloss, dass es genug sei. Andernfalls würde er von einer Szasla gefüttert werden. Babu hatte mittlerweile erfahren müssen, dass ein solches Füttern wenig fürsorglich vonstatten ging. Also aß er lieber selbst, diesmal waren es Innereien, das ging wie von allein, glitschte die Kehle hinab, aber ein strenger Geruch, wie faulendes Gras, wie schwarzer Schlick. Babu erbrach sich, spuckte alles wieder in seine Hände. Doch oben kreiste der Vogel, also tauchte Babu das Gesicht in die Schale seiner Finger, saugte, fraß sein eigenes, stinkendes Erbrochenes. Keine Scham, darüber war er hinaus. Er wusste nicht mehr, warum er in diesen Bergen war, er hatte den Grund ebenso vergessen wie sein Ziel. Er war leer wie die Landschaft, leer wie der Himmel, er fühlte nur den Willen des Falken, der sich in seinem Herzen verbissen hatte, und es war allein dieser Schmerz, der Babu auch jetzt wieder aufstehen und weiterstapfen ließ.
     
    Der Höhenweg führte längs über einen Grat, schmal wie ein Messerrücken. Beidseitig fielen die Hänge so steil ab, dass nicht einmal der Schnee einen rechten Halt im Fels fand   – der Wind wehte ihn bald in diese Ritze, bald in jene Spalte und mit der nächsten Bö wieder heraus. Von ferne sah es aus, als wäre die Bergflanke von einem Netz aus weißen, pulsierenden Adern überzogen. Ein Anblick, der jeden Menschen ehrfürchtig machen musste und der nach einem Mythos rief, nach einer Geschichte über die Entstehung der Welt oder den Sturz eines Riesen. Aber hier war kein Mensch. Babu, der dem Bergriesen über die schartigen Wirbel krabbelte, hatte sich weit vom Menschsein entfernt. Seitdem er nicht mehr höher stieg, sondern dem Weg folgte, ging es ihm besser. Er fragte sich nicht, ob andere diesen Weg vor ihm gegangen waren oder wohin er führte. Er wusste nicht einmal, ob sich der schmale Pfad tatsächlich zwischen Zacken hindurchschlängelte, ihn an Abgründen entlangführte oder ob er sich den Weg nur dorthin wünschte, immer nur genauso weit, wie er sehen konnte. Er ging, wenn nötig, auf allen vieren. Er atmete und sein Puls war ruhiger geworden. Mit dieser Ruhe war eine Gleichgültigkeit über Babu gekommen, die größer war als die graue Dumpfheit, die ihn auf seinem Ritt durchs Lange Tal umfangen gehalten hatte. Es war ein gleißend helles Nichts, das sich in Babu ausgebreitet hatte und alles, was er einmal gewesen war, einfach überblendete. Was blieb, war der Weg. Und ein dünner Faden, dessen eines Ende an seiner Brust befestigt war, das andere

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