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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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äußerlich aufgewärmt, war Felts Geist frei und wanderte über die Wiesen von Pram. Er sah die Nukks im Sonnenlicht grasen, umschwirrt von Fliegen. Er sah weiße und gelbe Blüten zwischen den langen, saftigen Halmen die Köpfe nach dem Licht wenden. Er ging auf weichem Boden und er hörte das Flüstern in den hohen Wipfeln der Bäume.
     
    Kersted legte den Kopf in den Nacken und beschirmte die Augen gegen die scharfe Luft. Der Sturm hatte nachgelassen und war nur noch kleine, wirbelnde Bewegung. Im blassen Licht des aufziehenden Morgens zeichnete sich das Ausmaß seiner nächtlichen Arbeit gegen den Himmel ab: Wie ein Schlafloser, der mit der sinnlosesten Tätigkeit versucht, sein aufgestörtes Bewusstsein zu überlisten, damit er an ihm vorbei wieder ins Land der Träume schlüpfen kann, so hatte der hoffentlich letzte große Sturm dieses Firstens gewaltige Schneemassen von einer Seite des Grats auf die andere verfrachtet. Nun war er endlich erschöpft und überließ es den Menschen, seine Hinterlassenschaft wegzuräumen. Denn das mussten sie.
    Die Schneewechte schlug über den Grat wie eine riesenhafte, kurz vorm Brechen eingefrorene Welle. Noch brach sie nicht, noch staubte es nur am Überhang, zarte weiße Fähnchen wehten, rissen ab, lösten sich auf im fahlen Grau des Morgenhimmels. Ja, es musste sein. Kersted stapfte durch den tiefen Schnee zu den Soldaten, deren schwarze Rüstungen wie Löcher im schreienden Weiß waren. Sie wagten es nicht, auf den Pfad unter der Wechte zu treten. Es war klar, sie würde brechen, herunterkommen, eher früher als später, und sie würde nicht nur mitnehmen, was unter ihr war, sondern auch erdrücken, was vor ihr lag, und mit sich saugen, was hinter ihr stand. Die eisernen Gitter, die sie über dem Pfad in den Fels getrieben hatten, wären ein schwacher Schutz, ein Schneebrett solchen Ausmaßes könnten sie nicht abfangen.
    Heute würde noch geschaufelt werden müssen, so oder so.
     
    Inzwischen war es draußen merklich heller geworden und Felt beeilte sich, die zweite Stunde würde bald anbrechen. Durch einen Torweg erreichte er den äußeren Ring und die dritte Treppe, einen von zehn Aufgängen zur Stadtmauer. Oben wurde er bereits erwartet.
    »Melde gehorsamst: keine besonderen Vorkommnisse. Feuer in vier, sieben und acht sind runter.«
    Der Soldat hatte Mühe zu sprechen, ohne dass ihm die Zähne aufeinanderschlugen. Er stakste die vereiste Treppe hinab und Felt begann seinen Rundgang. Er war ärgerlich. Wenn seine Männer nicht die Möglichkeit hatten, sich an den Wallfeuern aufzuwärmen, bekam er bald ernsthafte Probleme mit dem Dienstplan. Erst vor drei Tagen hatten sie wieder einer Wache zwei Zehen abschneiden müssen, weil sie bereits schwarz wurden. Und tatsächlich, das vierte Feuer war nur noch Asche, und auch die Steine der gemauerten Nische, die den Kohlenkorbgegen den Wind abschirmten, waren kalt. Was machte Marken denn? Was war so schwer daran, Kohlen auf den Wall schaffen zu lassen, wie es seine verdammte Pflicht war? Felt widerstand dem Wunsch, den Kohlenkorb umzutreten. Er würde sich keine Disziplinlosigkeit erlauben, er würde seinen Dienst machen, und wenn er dabei erfror. Er ging und machte seine Runde. Er ging und ging und fand schließlich in seinen gewohnten Rhythmus und sein Ärger zerbröselte unter seinen Stiefeln. Dann brach die Felswand abrupt ab und gab die Sicht frei auf den Berst. Felt lehnte sich gegen den Wind wie an die Brust eines alten Freundes.
     
    Die Luft war immer noch voll Schnee, das Atmen fiel schwer. Kersteds Augen tränten, er starrte ins sich blähende Weiß der abgegangenen Lawine. Zu früh, dachte er, und ein langer Ton, gefolgt von zwei kurzen, gab ihm recht. Ein einfaches Signal für eine dramatische Geschichte: ein Sturz, zwei Männer. Zwei Männer waren mit dem Schnee über den Grat gegangen.
    »Die Hunde?«, fragte Kersted.
    Der Soldat, der ebenso wie sein Vorgesetzter aus sicherer Entfernung den Abgang der Lawine beobachtet hatte, nahm Haltung an. »Sind bereit, Herr Offizier. Außerdem zwanzig Mann zum Graben.« Sein Gesicht war von Kälte und Entbehrung zerklüftet, er kämpfte schon sein Leben lang gegen den Schnee und den Hunger. Vielleicht glaubte er deshalb, etwas anfügen zu dürfen: »Die Schneebläser kennen die Gefahr, Herr Offizier.«
    Kersted reagierte nicht auf die Einlassung. Der Soldat mochte doppelt so alt sein wie er, aber auf seinen Schultern hatte nie Verantwortung gelastet.
    »Worauf wartest du

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