Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
Vom Netzwerk:
Grund, so es ihn denn gab. Hier wurden Welten geboren, hier heraus hatte sichder Kontinent erhoben und hier hinein würde er versinken, wenn die Zeit gekommen war. Der Berst war Anfang und Ende gleichermaßen, ein unauflösbares Rätsel, ein vor aller Augen weit ausgebreitetes Geheimnis. Ein Ort für Mythen. Irgendwo in diesem unendlichen Wolkenmeer schwamm das sagenhafte Wiatraïn, die Stadt im Wind. Eine Legende und ein Trost. Geboren aus der Hoffnung, nicht allein zu sein. Aber kein Lebenszeichen kam aus der Leere im Osten, nur der Wind atmete, kalt. Und immer wieder stieg die Sonne aus dem Nichts und entzündete den Horizont, ihr Feuer floss in Wolkentäler und brachte faserige Gipfel zum Glühen. Ein Wunder, das wenig Beachtung fand.
     
    Felt musste den Kopf einziehen, als er über die Schwelle der Lorded trat, und fragte sich wie jedes Mal, wer diese Tür ausgemessen hatte. Der Aufenthaltsraum der Offiziere war schmucklos und zweckmäßig eingerichtet: Ein langer steinerner Tisch bildete das Zentrum, die Stühle waren aus Schmiedeeisen und mit Fellen belegt. Ein Gestell, ebenfalls aus Eisen, diente als Ablage für Waffen und Rüstung. Felt nahm den Helm ab, streifte die Handschuhe von den klammen Fingern und löste auch das Schwertgehänge. Dann trat er an einen der Kamine, die zu beiden Längsseiten des fensterlosen Raumes Licht und Wärme spendeten.
    »Einen guten Morgen wünsche ich Euch, Felt«, brummte der Mann, der kniend in der Glut stocherte und Felt bisher keines Blickes gewürdigt hatte.
    »Ein schönes Feuer hast du uns gemacht, Temmer. Ich hoffe nur, dass du darüber nicht das Frühstück vergessen hast«, sagte Felt und wischte sich eine Strähne seines langen, welligen Haars aus der Stirn. An den Schläfen mischte sich bereits Weiß ins rötliche Blond.
    »Wenn hier jeder so früh erscheinen würde wie Ihr, brauchte ich überhaupt nicht zu Bett gehen«, sagte Temmer und kam mühsam auf die Füße. »Aber was soll’s, auf mich alten Mann muss man keine Rücksicht nehmen.«
    Vor sich hin maulend verschwand er im Nebenraum, der Lager, Küche und Schlafkammer in einem war. Die Lorded stand den Offizieren zu jeder Tages- und Nachtzeit offen   – und immer war Temmer da, um noch Kohlen ins Feuer zu geben oder Wasser heiß zu machen, er schien mit dem Raum verwachsen zu sein. Felt zog einen Stuhl an den Kamin. Vom Frühstück erwartete er sich nicht viel. Es war das Privileg der hohen Dienstränge, sich in der Lorded versorgen zu lassen. Doch jetzt, gegen Ende des langen Firstens, der mit seinen Schneemassen und eisigen Winden die Welsen von der Welt abschnitt, war die Verpflegung hier in der Lorded genauso dürftig wie in ganz Goradt.
    »Bitte sehr, Herr Offizier.« Temmer hielt Felt eine Schüssel hin, die in traurigem Gegensatz stand zur förmlichen Geste, mit der sie überreicht wurde. »Aber trinkt nicht so hastig.«
    Felt nippte vorsichtig an der kochend heißen Suppe und registrierte den schwachen Geschmack von Salzfleisch.
    »Bildet Euch ja nichts drauf ein«, sagte Temmer. Bevor er wieder in seinem Reich verschwand, rief er noch: »Und seht zu, dass Ihr fertig seid, bevor die anderen kommen!«
    Er hantierte mit seinen Töpfen und sprach so laut mit sich selbst, dass Felt es auch bestimmt hören konnte: »Ja, der alte Temmer weiß hauszuhalten, aber dankt es ihm einer? Murren, das können sie   … Woher soll er es denn nehmen? Nein, das will keiner wissen   …«
    Recht hatte er: Felt wollte nicht wissen, wie Temmer an das Fleisch gekommen war. Und noch viel weniger wollte er wissen, was für ein Fleisch das eigentlich war. Er schlürfte mit geschlossenen Augen und kaute auf den winzigen, zähen Stückchen. Erstellte sich vor, wie er frisches Brot in die Suppe brockte, und schon fühlte er die Krume zwischen den Fingerspitzen und roch den Duft. Der Hunger war ein begabter Zauberer, er war der stumme Begleiter eines jeden Welsen von Kindesbeinen an. Niemals ließ er sich vollends niederringen oder vertreiben, nicht im klirrenden Firsten, nicht im Lendern, wenn die Nukks lammten und bittere, aber nahrhafte Milch gaben, wenn die Welsen Fallen aufstellten für die scheuen Marmlinge und den Dohlen die Nester ausräumten. Selbst dann nicht, wenn der Treck vollbeladen aus dem sonnigen Pram in die graue Stadt der Welsen zurückkehrte. Denn die Angst vor dem Hunger war ebenso gegenwärtig wie er selbst und verbot Völlerei und Verschwendung. Nur in raren Momenten wie diesem, innerlich und

Weitere Kostenlose Bücher