Zwölf Wasser Zu den Anfängen
flackern. Und er gab Antwort, indem er die Faust aufs Herz legte und das Kinn auf die Brust senkte.
Der junge Offizier verschwand unter dem Torbogen und konnte nicht wissen, ob Felt ihn gegrüßt hatte oder den Toten. Genau das war die Absicht gewesen, denn Felt hatte sie beide gemeint. Am Berg musste beides ertragen werden, das Leben genauso wie das Sterben, das würde auch Kersted eines Tages einsehen. Vorerst aber reichte es, wenn er seinen Mut aufrichten konnte, wenn er im Gruß Bestätigung fand: Du hast richtig entschieden, dich stellt niemand infrage. Denn heute brauchte Kersted keinen Zweifel, sondern eine reglose Miene und eine feste Stimme, wenn er auf die Frauen traf. Er würde es aussprechen müssen, so wie Felt es hatte aussprechen müssen, der Tod wurde nicht kleiner, wenn man ihn verschwieg. Kersted würde die Frauen ansehen müssen und sagen: »Dein Mann ist tot. Dein Mann ist vermisst.«
Er würde nicht trösten, er durfte nicht bedauern. Aber er musste die Tatsache aussprechen, damit der Tod wahr wurde und das Leben weitergehen konnte.
Dass das nicht leicht war, wusste jeder Welse. Aber wenn etwas keinen Sinn hatte, dann war es das Jammern über Tatsachen.Trauer ist ansteckend, Mitleiden höhlt die Hoffnung aus, langsam, aber stetig, so wie tropfendes Wasser den Stein. Es war nun einmal so, niemand konnte es ändern: Die Sonne hatte ihren Bogen nicht einmal bis zur Hälfte geschlagen und es waren bereits wieder welche unter ihnen, die alleine kämpften. Eine junge Mutter, die ihre letzte Kraft zusammennehmen musste, denn sie hatte noch ein zweites Kind, das lebte. Eine Ehefrau, die eisige Lippen küssen und Abschied nehmen musste. Und eine andere, die gut beraten wäre, den Abwesenden zu betrauern und nicht darauf zu hoffen, dass der Berg seinen Leichnam jemals freigeben würde. Er würde nicht durchs Feuer gehen. Sie würde ihn nicht wiedersehen, nicht in dieser Welt und auch nicht in der anderen.
ZWEITES KAPITEL
STAHL
Die Marded war eines der ältesten Gebäude der Stadt. In der Zeit davor hatte König Farsten hier residiert, wenn er nach Goradt kam, um die Waffenproduktion zu begutachten und Heerschau zu halten. Die Stadt am Berg war nicht nur Minen-Stadt, sondern auch die Stadt der Soldaten gewesen. In der Höhe, in Schnee und Stein hatte jeder welsische Soldat drei Soldern verbringen und das Kriegshandwerk lernen müssen, bevor er in die Ebene und nach Wandt, Hauptstadt von Welsien, zurückkehren durfte. Die Marded erinnerte an diese stolze Zeit: Von mächtigen Säulen getragen, wölbte sich die Decke der Halle bis auf die Höhe der Stadtmauer. Eine prächtige steinerne Treppe bot Zugang auf eine umlaufende Galerie, drei Durchgänge führten aus der Marded unter dem Wall hindurch zu den im Felsmassiv liegenden Minen, Schmelzen und Schmieden. Damals waren die Gänge als Fluchtwege aus der Stadt heraus in die weitverzweigten Höhlen- und Stollensysteme angelegt worden, heute ermöglichten sie den Handwerkern bequeme Lieferung. Während in der Stadt Mangel herrschte, war die Marded ein Ort des Überflusses: Klingen in verschiedenen Größen, Dolche, Messer, Speerspitzen, Axtblätter und Rüstungsteilestapelten sich auf Haufen, lehnten oder hingen an Eisengestellen, steckten in Körben, waren zu Bündeln geschnürt oder in lederne Taschen gepackt. Die Masse schwarzen Stahls war eindrucksvoll, die Armee, die hier ausgerüstet würde, wäre vernichtend.
Felt warf im Vorbeigehen einen Blick auf das lebensgroße steinerne Nukk, das mit unterschiedlichsten Taschen und Körben behängt war, Marken probierte neue Packtechniken aus. Der Waffenmeister war nicht nur verantwortlich für die Produktion und den Transport der Waffen nach Pram, er sorgte auch für Rationierung und Zuteilung der Kohlen. Eine Aufgabe, die er sträflich vernachlässigt hatte.
»He«, rief Felt einen der Helfer an, der gerade versuchte, sich einen Überblick über eine Ansammlung Axtblätter zu verschaffen, »wo finde ich Offizier Marken?«
Der Mann sah auf, dann deutete er vage in Richtung Treppe, wandte sich wieder seinem Stapel zu, griff sich an den Kopf und fluchte.
Felt steuerte die große Treppe an und sah Marken auf den unteren Stufen sitzen, eine noch unpolierte Speerspitze in der Hand. Er begutachtete das Stück und lauschte dem Schmied, der neben ihm saß und auf ihn einredete. Felt kannte den Mann, es war Remled, Estrids jüngerer Bruder. Felt stand sich nicht besonders gut mit der Familie seiner Frau;
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