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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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führen.
    Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Nukks waren ausgezehrt nach dem langen Firsten, viele starke, alte Böcke erschöpft von den Rangkämpfen, die meisten weibliche Tiere schon hoch trächtig   – der Lendern war kurz und die Zicklein kamen früh. So waren es vor allem unerfahrene, zwei oder drei Soldern alte Böcke und Geißen, die den Treck bildeten. Jedes dritte oder vierte Tier trug außer einer Last aus schwarzem Stahl noch einen Reiter: Knaben und Mädchen, nicht älter als fünfzehn Soldern. Wehrfähig durften sie noch nicht sein, aber zu jung auch nicht, denn die Passage durch die Aschenlandewar schwer. Dennoch schickten die Welsen mit jedem Lendernbeginn ihre Kinder auf diese mühevolle, gefährliche Reise und überließen sie der Obhut jener zwanzig Soldaten, die Pram ihnen zugestand. Es war eine kostbare und eigentümliche Fracht, die Solder für Solder aus Goradt hinaus nach Westen befördert wurde: junge Menschen und schwarzer, todbringender Stahl. Aber die Mühe lohnte, denn zurück kamen Vorräte und gestärkte Kinder, die einen ganzen Lendern auf blühenden Wiesen und im Schatten lichter Wälder verbracht hatten. Auch die, die in der grauen Stadt am Berg blieben, hatten es leichter. Denn jeder, der nicht in Goradt war, musste auch nicht in Goradt versorgt werden.
    Die Nukks wurden, bis auf die wenigen, immer in den Stallungen gehaltenen Tiere der Offiziere, nicht gefüttert. Es war die Aufgabe von Stallmeister Strinder, die frei laufenden Tiere, die sich im Firsten harte Flechten und Moose selbst unter dem Schnee freikratzten, wieder einzufangen. Die großen Böcke der Randberge waren leicht zähmbar, ihre Widerstandsfähigkeit und der sichere Tritt ihrer gespaltenen Hufe machten sie zu idealen Reittieren für diese unwegsamen Regionen. Mit der Schmelze näherten sich die Nukks der Stadt, gelockt vom scharfen Geruch der letzten Reste vergorenen Heus, das der Stallmeister auslegen ließ und das die Tiere im Vorsolder größtenteils selbst von den pramschen Weiden hinaufgebracht hatten.
    Strinder hatte gute Arbeit geleistet. Estrid ritt auf einem stattlichen Bock, den Ristra
Bärtchen
getauft hatte. Sie musste gegen ihren Willen lächeln. Ihre Tochter war so aufgeregt, dass sie sich immer wieder in die Steigbügel stellte, dabei an den Zügeln zog und unaufhörlich plapperte. Die Geiß, die Ristra und das Gepäck trug, war gutmütig und ertrug die zapplige kleine Reiterin. Aber als der Pfad sie an der Grotte vorbeiführte,wurde auch Ristra still und stumm. Im Schatten des im Morgenlicht rosa glühenden Bergmassivs standen drei Gestalten, gehüllt in schimmernde, bodenlange Umhänge, die Gesichter verborgen unter Kapuzen. Estrid konnte den Blick nicht von den Undae wenden, die wie kostbare Kristalle im dämmrigen Frühlicht funkelten. An eine von ihnen hatte sie ihren Mann verloren, und auch wenn sie beim Anblick der Hohen Frauen ahnte, dass ihr Schicksal in einem größeren Zusammenhang aufging und darin bedeutungslos wurde, wollte sie den Trost, der in diesem Gedanken lag, nicht haben. Das war einfach zu wenig. Estrid biss auf die Zähne und zwang sich, geradeaus zu schauen. Mochte sein, dass sie alles verloren hatte, aber was machte das schon   – ihr Leben war deshalb noch nicht zu Ende.
     
    Estrid war bereits an der Grotte vorübergeritten, als Felt gerade das Stadttor passierte. Seit dem nächtlichen Gespräch hatte er Estrid kaum zu Gesicht bekommen. Sie war ganz mit den Vorbereitungen für die Abreise beschäftigt und er saß in endlosen Besprechungen, in denen es vor allem um die diplomatische Vorgehensweise gegenüber den Herren von Pram ging. Denn so viel war klar: Ohne deren Unterstützung kämen sie nicht weit; sie kannten nicht mehr viel von der Welt, sie brauchten Karten, Führer und Proviant. Wie Pram reagieren würde und wie man sich gegebenenfalls verhalten sollte, wurde lang und breit diskutiert. Und die wertvolle Zeit, die Felt mit seiner Familie verbringen konnte, wurde immer weniger. Nun war der Moment des Abschieds aus Goradt gekommen und Estrid war bereits weit voraus. Sie hatte sich über alles hinweggesetzt, und indem sie das Haus verkauft hatte, hatte sie ihm den Rückweg abgeschnitten. Felt konnte nicht mehr nach Hause zurückkehren, denn er hatte kein Zuhause mehr. Aber brauchte er denn eines? War es nicht vielmehrEstrid, die er brauchte? Was sie gesagt hatte, traf auch auf ihn zu: Estrid war seine Heimat.
    Marken hatte im Gegensatz zu Felt keine Familie, die

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