Zwölf Wasser Zu den Anfängen
hätte zerstört werden können. Seine Frau war schon vor Soldern am Kindbettfieber gestorben und auch der Säugling hatte nicht überlebt. Er hatte nie wieder eine andere Frau auch nur angesehen. Kersted war noch jung und ungebunden – was dazu führte, dass beim Aufbruch gleich mehrere Mädchen schluchzten und heulten. Er aber schien der Einzige zu sein, der sich freute. Seine blauen Augen leuchteten, er konnte es kaum erwarten, endlich aus der Stadt hinauszukommen.
Marken hob die Hand und brachte den Trupp zum Stehen. Der Waffenmeister war vom Hauptmann mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet worden: Marken hatte die Befehlsgewalt über den Treck, solange sie gemeinsam unterwegs waren, führte die Eskorte für die Undae an und war darüber hinaus berechtigt, in Pram die Interessen der Welsen zu vertreten, das Anliegen vorzubringen und um Unterstützung zu bitten. Der Waffenmeister trug die große Verantwortung zwar nicht mit Freude, aber doch mit Fassung.
Er saß ab, trat vor die Undae und verbeugte sich leicht: »Seid gegrüßt. Wir haben Reittiere für Euch mitgeführt und auch Tiere für Euer Gepäck. Zu Euren Diensten.« Bei seinen letzten Worten sprangen drei der Soldaten von ihren Nukks. Die Undae ignorierten sie und schritten zu den für sie aufgezäumten Geißen. Ohne Schwierigkeiten und behände wie Sedrabras saßen sie auf. Ratlos blickten die Soldaten ihren Kommandanten an.
»Nun«, sagte Marken, »ich sehe, Ihr reist, ohne Euch zu belasten. Aber, verzeiht mir meine Schwerfälligkeit, wolltet Ihr nicht Wasser mit Euch führen?«
Zur Antwort schlugen die drei ihre Mäntel auf: An zierlichen Ketten hingen ihnen in Silber gefasste Kristallphiolen um die Hälse, von denen keine mehr als einen Mundvoll Wasser fassen konnte. Marken strich sich den Bart, sagte aber nichts. Mit einem Handzeichen befehligte er die Männer zum Aufsitzen und die Gruppe zum Abmarsch.
Sie ritten langsam und schlossen nicht zum Treck auf, der sich in einer langen Folge von kletternden und springenden Nukks den gewundenen Pfad zum Pass hinaufschlängelte. Hie und da blitzte ein Helm oder Harnisch im Licht der Sonne, die über dem Berst aufstieg und die endlose Gipfelkette der Randberge aufleuchten ließ. Die beiden Wehrtürme über der Passhöhe waren wieder besetzt, Felt sah die Feuer brennen. Aus dieser Entfernung erschienen die Feuer klein wie Funken und die Türme waren nicht mehr als zwei graue Kieselsteine zwischen den hoch aufragenden, mit ewigem Schnee bedeckten Häuptern der Felsriesen. Aber das täuschte. Die
First Bligren
, die Eisigen Brüder, waren unter König Farsten erbaut worden und sie waren gewaltig. Sie stammten aus der Zeit davor, und wer zwischen ihnen in die enge Schlucht der Passhöhe einritt, dem drückte die ehemalige Macht der Welsen auch heute noch wie mit steinernen Fäusten das Kinn auf die Brust.
»Was denkst du«, rief Kersted, der direkt hinter Felt ritt, »wird dir eines Tages ein Welsenschwert den Kopf abschlagen?«
Felt zuckte die Schultern, er hatte keine Lust zu sprechen, erst recht nicht gegen den Wind, der sie erfasst hatte, kaum dass sie aus dem Schatten vor der Grotte herausgeritten waren. Den Pfadmeister schien das nicht zu stören, unbekümmert brüllte er: »Na, was denn sonst?
Welsenstahl beherrscht die Welt!
«
Der Berg antwortete mit einem Echo, das der Wind auffingund wie einen Ball gegen die Felswände warf – Kersteds kräftige Stimme vervielfältigte sich zu einem Schlachtruf aus zehn, zwanzig rauen Kehlen. Er lachte. »Heda, Felt, hast du gehört?
Wir sind nicht allein!
«
Felt schwieg und das Echo verhallte. Und ob sie allein waren. Vollkommen allein. Felt wurde bewusst, dass es verschiedene Arten des Alleinseins gab, unterschiedliche Stufen, und dass er nun ganz oben angekommen war. Die Isolation seines Volkes hatte er mittragen können, er brauchte nicht mehr als die Runde auf dem Wall und den Blick in den Berst. Er konnte am Rande des Nichts leben, hätte so weiterleben können – aber nun konnte er abends nicht mehr nach Hause kommen. Nicht mehr zu Estrid kommen. Etwas hatte ihn aus dem Tritt gebracht, er ging nicht mehr die gewohnte Runde, er ging neben sich und er wusste noch nicht, ob er ins Nichts stürzen würde oder ob es ihm gelingen würde, irgendwo einen Halt zu finden. Etwas hatte sie alle aus dem Tritt gebracht, etwas ging vor, und dieses Etwas hatte ihnen den Boden unter den Füßen weggespült. Sie waren alle bedroht von einer
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