Zwölf Wasser Zu den Anfängen
So geschwächt und bekümmert hatte noch nie ein Treck den Abstieg in die Aschenlande begonnen. Der nächste Firsten würde grausam werden. Aber während Marken noch überlegte, wie er die Verluste an Männern und Lasttieren ausgleichen konnte – ob sie Verstärkung anfordern und darauf warten sollten oder ob es besser war, in Pram Pferde zu kaufen, auch wenn nicht sicher war, ob diese Tiere die Passage zurück überstehen könnten –, waren die Undae bereits aufgesessen und vorausgeritten.
ACHTES KAPITEL
ALLES IST ASCHE
Es war mehr als hundert Soldern her, dass das Reich der Welsen verglüht war, aber immer noch schuppte sich das Land und warf seine Aschenhaut ab: Schwere, fettige Flocken wirbelten den Nukks um die Hufe. Der Himmel war klar, kein Lüftchen wehte und Stille legte sich wie ein schwerer Pelz auf die Gemüter der Reiter und hüllte sie, jeden für sich, in eine stickige, enge Einsamkeit. Die Asche war hellgrau, fast wirkte sie weiß und erinnerte an Schnee, aber sie knirschte nicht, sie schluckte jeden Trittschall. Sogar die Nukks, gewohnt, an sturmumtosten Steilhängen auf und ab zu springen, schien die unbegrenzt sich dahinwellende, gleichbleibend grauweiße, tonlose Ebene zu bedrücken: Nur zögerlich kamen sie in Gang, vorsichtig setzten sie die Hufe, als warteten sie bei jedem Schritt auf die vertraute Bestätigung des Klangs von hartem Horn auf Fels. Und hinter ihnen schwebte die Asche wieder zu Boden und verdeckte ihre Spuren.
Auch wenn es keine Straße, keinen Pfad in diesem Albtraumland gab, war die Orientierung nicht schwer – es ging stets westwärts und in regelmäßigen Abständen waren Pflöcke eingeschlagen, die die Route markierten. Sie zu errichten wareine langwierige Arbeit gewesen und die Ersten, die diesen Weg gegangen waren, waren nicht nach Goradt zurückgekehrt. Nun aber standen die Pflöcke und es war üblich, dass jeder Reisende seine Passage an ihnen dokumentierte, irgendwo seinen Namen einkerbte, einen Stein, ein Stück Knochen oder eine Speerspitze anband, Federn ins rissige Holz steckte, dem Pflock einen alten Helm aufsetzte. So gaben die Vorgänger den Nachkommenden Hoffnung: Von Pflock zu Pflock ging es vorwärts und jeder Pflock erzählte eine neue, kleine Geschichte. Dennoch bedurfte es eines in Entbehrung und Isolation gestählten Charakters, um die Durchquerung der Aschenlande unbeschadet an Seele und Geist zu überstehen. Nur ein Welse war dazu in der Lage. Für Felt war es bereits die achte Passage und er wusste, dass der erste Tag immer besonders schwer war. Die ungewohnte Stille machte taub und das Ausmaß der Verwüstung übertraf jede Erzählung und sogar die eigene Erinnerung jedes Mal aufs Neue. Viele, nicht nur die, die zum ersten Mal im Treck ritten, weinten. Dabei war es nicht die Trauer um ein verlorenes Reich, die Tränen fließen ließ, sondern der Anblick dieses so tödlich verwundeten Landes, die matte, allumfassende Trostlosigkeit. Man musste weinen um die Welt, wenn man in die Aschenlande kam, und dieses Mal, nach den Vorfällen im Höhenlager, ging es alle besonders hart an. Es hatte wenig Sinn, sich zu wehren, auch Felt weinte: um das Land, um Silla, um Fenled, um Estrid, um die verlorene Zukunft. Der Zug fiel auseinander, sie ritten in weiten Abständen, jeder für sich und mit sich allein.
Erst als die Sonne am Horizont klebte, die Asche golden glühen ließ und mit ihren letzten Strahlen in die Gesichter der Welsen griff, war es endlich genug. Man schloss auf zum Vordermann, begann ein Gespräch – müde zwar, aber von einer Last befreit und beinahe heiter. Auch Felt spürte, wie sich diegewohnte Gelassenheit wieder in ihm ausbreitete, und er hielt Ausschau nach dem Pflock, der anzeigte, wie weit es noch zur ersten Plattform war. Er ritt voraus, Kersted schloss sich ihm an. Drei angenagelte Stahlbänder, drei Pflöcke noch.
»Wer zuerst da ist«, sagte Kersted und trat schon seinem Nukk in die Flanken. Felt folgte dicht auf und hinter den beiden stieg eine Aschewolke auf, die aussah wie wirbelnder Sternenstaub.
Anderthalb Zehnen dauerte die Durchquerung. Es wäre zwar nicht unmöglich gewesen, direkt im weichen Aschebett zu lagern, aber es hatte etwas Unmenschliches, sich in den Staub zu legen, der einmal Heimat gewesen war. Deshalb hatten die Welsen Plattformen aus geschälten Stämmen gebaut, die entlang der Pflockstrecke wie Anleger in ein schmutzigweißes Meer hineinragten und auf Schiffe zu warten schienen,
Weitere Kostenlose Bücher