Zyklus der Erdenkinder 01 - Ayla und der Clan des Bären
trösteten, wenn sie nachts erwachte? Langsam dämmerte ihr die Erinnerung an die Schrecknis ihrer Lage. Zitternd vor Furcht und Kälte kauerte sie sich zusammen und verkroch sich wieder unter der Nadeldecke des Waldes. Als die ersten schwachen Lichtstreifen des Morgens den Horizont markierten, schlief das Mädchen fest.
Nur mit Mühe drang der Tag in die Tiefen des Waldes vor. Als das Kind erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, durch das dunkle Laubdach der dickstämmigen Bäume jedoch nur schwer auszumachen. Gestern, als das Tageslicht verglüht war, hatte sich die Kleine weit vom Fluss entfernt. Und wieder regte sich die Angst, als sie sich jetzt umsah und ringsum nichts als Bäume erblickte, die sich breitbeinig ihr entgegenstellten.
Sie hatte Durst. Ihre geschärften Sinne vernahmen plötzlich ein leeres Plätschern, dem sie folgte und nach einer Weile voller Erleichterung als Stimme ihres Flusses lauthals Begeisterung zollte. Hier am Ufer war sie zwar nicht weniger verloren als im Wald, aber es verschaffte ein beruhigendes Gefühl, die Führung dem vertrauten Element zu überlassen. Sie konnte auch ihren Durst stillen, solange sie in seiner Nähe blieb. Doch gegen ihren Hunger half es nicht.
Sie wusste, dass es Grünpflanzen und Wurzeln gab, die man essen konnte, aber niemand hatte ihr gezeigt, welche davon schmackhaft waren. Das erste Blättchen, an dem sie knabberte, schmeckte bitter und brannte auf der Zunge. Schnell spie sie es aus und spülte sich den Mund. Nach dieser wenig ermutigenden Erfahrung hatte sie keine Lust, ein anderes Kraut zu versuchen und trank statt dessen nochmals reichlich, nur um sich den Magen zu füllen. Dann machte sie sich wieder auf, stromabwärts, immer dicht am Wasser, welches das Sonnenlicht gleißend zurückwarf. Als die Nacht kam, buddelte sich die Kleine im nadeligen Boden eine Kuhle und rollte sich darin zusammen.
Und wieder lag ihr eisige Furcht im Magen, an dem wütend der Hunger zerrte. Noch nie war sie so verängstigt, nie so hungrig gewesen, noch nie so allein. Diese Erfahrung war für das Kind so überwältigend, dass die Erinnerung an dieses Erdbeben und das Leben zuvor aus seinem Kopf verschwand. Dort saßen Angst und Verzweiflung, die sie nur dem Augenblick entgegenleben ließen, alle Sinne allein darauf gerichtet, das nächste Hindernis zu überwinden, den nächsten Seitenarm des Flusses zu überqueren, den nächsten. Baumstumpf zu überklettern. Nur dem Fluss nach! war des Mädchens einziger Gedanke, nicht weil er es zu einem bestimmten Ziele rühren sollte, sondern weil er der einzige war, der ihm eine Richtung gab, eine Möglichkeit zu handeln.
Irgendwann steigerte sich die Leere in seinem Magen zu einem dumpfen Schmerz, der das Hirn betäubte. Hin und wieder weinte es, während es vorwärts stolperte, und die Tränen spurten weiße Streifen auf dem zerkratzten, grauen Gesicht des Mädchens, dessen Körper lehmüberkrustet war wie das Haar, das einmal beinahe weiß gewesen und so fein und weich, ihm aber jetzt, mit Tannennadeln, Ästchen und Dreck verfilzt, am Kopfe klebte.
Das Vorwärtskommen wurde schwieriger, als der Wald von lichterem Gelände abgelöst wurde. Den nadelübersäten Boden nahmen nun Grasflächen in Besitz, die von fast undurchdringlichem Gesträuch überwuchert waren, aus dem sich hochgewachsene kleinblättrige Laubbäume herausgeschafft hatten. Wenn es wieder einmal regnete, hockte sich das Kind in den Windschatten eines umgestürzten Baumes, eines Felsens, manchmal auch eines steinigen Überhangs, oder aber es trottete und stolperte einfach weiter durch Schlamm und Gestrüpp und ließ die Regenflut über sich hinwegspülen. Nachts trug es haufenweise dürres, modriges Laub zusammen, das raschelte dann manchmal, wenn es sich darunter verkroch.
Immer schwächer wurde das Kind, in dessen Körper beharrlich die Kälte saß, das den Hunger nicht mehr spürte, nur noch einen stumpfen Schmerz im Magen und Schwindel im Kopf, aus dem es alles verdrängte und nur an den Fluss dachte, dem zu folgen war.
Sonnenstrahlen, die durch die Laubdecke drangen, weckten das Mädchen, das sich aus seinem behaglichen Nest wühlte und durstig zum Fluss lief, am ganzen Körper feuchte Blätter. Das beruhigende Blau des Himmels und die wärmende Helle taten wohl nach dem ewigen Regen. Es war noch nicht weit gekommen, als die Böschung allmählich anstieg, die sich nach einer Weile zu einem steilen Abhang aufformte. Vorsichtig mit Fingern und Zehen
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