Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
entgegengeschlagen, fast, als ob sie wirklich zu ihnen gehört hätte. Daß ihre Beine lang und gerade waren und sie einen Körper hatte, der zu schmal und zu groß war und sie auch noch blondes Haar, blaue Augen und eine hohe Stirn hatte – all das hatte in diesem Augenblick keine Rolle gespielt. Danach hatten etliche Clansangehörige versucht, schwimmen zu lernen, aber sie hielten sich nicht besonders gut oben und hatten Angst vor tiefem Wasser.
Ob Durc es wohl jemals lernt? Er war ja nie so schwer wie die Babys der anderen und wird bestimmt auch nie so muskulös wie die meisten Männer. Ich meine, er könnte …
Wer sollte es ihm jetzt beibringen? Ich bin nicht da, und Uba kann es nicht. Sie wird sich seiner annehmen; schließlich liebt sie ihn genauso wie ich, aber schwimmen kann sie nicht. Und Brun auch nicht. Brun wird Durc das Jagen beibringen und ihn beschützen. Er wird nicht zulassen, daß Broud meinem Sohn etwas antut, das hat er versprochen – obwohl er mich eigentlich gar nicht hatte besuchen dürfen. Brun war ein guter Anführer, nicht wie Broud …
Kann Broud die Ursache dafür sein, daß Durc in mir wuchs? Ein Schauder überlief Ayla bei dem Gedanken daran, wie Broud sie mit Gewalt genommen hatte. Iza hatte gesagt, Männer machten das so mit Frauen, die ihnen gefielen; aber Broud hat es nur getan, weil er wußte, wie sehr ich es haßte. Alle behaupten, es wäre der Geist der Totems, der den Anstoß dafür gibt, daß Babys wachsen. Dabei hat keiner der Männer ein Totem, das stark genug wäre, meinen Höhlenlöwen zu besiegen. Schwanger wurde ich erst, als Broud mich immer wieder zwang, und alle waren überrascht. Keiner hat gedacht, daß ich jemals ein Baby bekommen würde …
Ich wünschte, ich könnte miterleben, wie er heranwächst. Er ist schon groß für sein Alter, so wie ich. Bestimmt wird er einmal der Größte im Clan sein, da bin ich mir ganz sicher …
Nein, das bin ich nicht! Ich werde es nie erfahren. Ich werde Durc nie wieder sehen.
Hör auf, an ihn zu denken, befahl sie sich selbst und wischte eine Träne fort. Sie stand auf und trat an den Rand des Flusses. Es tut nicht gut, über ihn nachzudenken. Und bringt mich auch nicht über den Fluß hinüber! Sie war so sehr mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen, daß sie den gegabelten Stamm, der nahe am Ufer vorübertrieb, erst gar nicht sah. Wie abwesend, und doch irgendwie bei der Sache, verfolgte sie, wie die auseinanderstrebenden Äste mit den ineinanderwachsenden Zweigen daran sich am Ufer verhedderten und beobachtete, ohne es recht zu sehen, wie der Stamm eine lange Zeit auf- und abwippte, um wieder freizukommen. Doch als ihr klar wurde, was dort vor sich ging, erkannte sie sogleich die Möglichkeiten, die sich daraus für sie ergaben.
Sie watete in das seichte Wasser hinein und zog den Stamm an Land. Es handelte sich um den oberen Teil eines ausgewachsenen Baums, der weiter flußaufwärts abgebrochen sein mußte und sich noch nicht allzusehr mit Wasser vollgesogen hatte. Mit der Feuerstein-Axt, die sie in einer Falte ihres Umhangs bei sich trug, hackte sie den längeren der beiden sich gabelnden Äste ab, so daß er ungefähr so lang war wie der andere, und befreite alles von den hinderlichen kleineren Zweigen, so daß zwei ziemlich lange Äste zurückblieben.
Nachdem sie sich rasch umgesehen hatte, strebte sie einer Gruppe von Birken zu, die von Waldreben umrankt wurden. Als sie an einer der frischen holzigen Ranken zerrte, löste sich ein langer, zäher Baststreifen. Beim Zurückgehen befreite sie diesen von den Blättern. Dann breitete sie ihr Schutzzelt auf dem Boden aus und leerte den Inhalt ihrer Kiepe darauf. Es war Zeit, eine Bestandsaufnahme zu machen und ihre Sachen neu zu packen.
Die Beinlinge mit dem Fell an der Innenseite sowie ihre Handlinge kamen zusammen mit dem gleichfalls pelzigen Winterumhang ganz nach unten; sie trug jetzt ihren Sommerumhang und brauchte den anderen vor dem nächsten Winter nicht mehr. Bei dem Gedanken an den nächsten Winter hielt sie einen Moment inne und sann darüber nach, wo sie ihn wohl erleben würde; lange verweilte sie jedoch nicht bei diesem Gedanken. Und wieder hielt sie inne, als sie das weiche geschmeidige Ledertuch hochnahm, mit dem sie Durc immer auf der Hüfte getragen hatte.
Sie brauchte es nicht; es war für ihr Überleben nicht notwendig; sie hatte es nur mitgenommen, weil es etwas war, das an ihn erinnerte. Sie hielt das Ledertuch an ihre Wange, legte es dann sorgfältig
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