Zyklus der Erdenkinder 04 - Ayla und das Tal der Grossen Mutter
vom einäugigen Mogor und seiner machtvollen ..." Er wollte noch
mehr sagen, besann sich aber eines Besseren. Vor Frauen sollten Männer nicht über die geheimen Männerzeremonien sprechen. Nun begriff er ihre Beherrschung der alten Zeichen-sprache: der einäugige Mogor hatte sie darin unterwiesen. Und Guban erinnerte sich, daß der große, einäugige Mogor eine Schwester hatte, die eine berühmte Medizinfrau aus einem alten Geschlecht war. Plötzlich entspannte sich Guban, und ein flüchtiger Ausdruck von Schmerz verzog sein Gesicht. Er atmete tief und sah Ayla an, die mit gekreuzten Beinen vor ihm saß und zu Boden blickte, wie es jede anständige Clan-Frau tat. Er berührte sie an der Schulter.
"Hochgeehrte Medizinfrau, dieser Mann hat eine ... kleine Sorge", bedeutete ihr Guban in der alten, stummen Sprache des Bären-Clans. "Dieser Mann bittet die Medizinfrau, sich das Bein anzusehen. Es könnte gebrochen sein."
Ayla schloß die Augen und atmete befreit aus. Sie hatte ihn endlich überzeugt. Er würde zulassen, daß sie sein Bein be-handelte. Sie gab Yorga ein Zeichen, einen Ruheplatz für ihn vorzubereiten. Der gebrochene Knochen war nicht durch die Haut gedrungen, und die Chancen einer Heilung standen nicht schlecht. Aber sie mußte das Bein geraderichten und mit Birkenrinde schienen, damit er es nicht bewegen konnte.
"Es wird wehtun, das Bein zu strecken, doch ich habe etwas, das entspannt und betäubt." Sie wandte sich an Jondalar. "Kannst du unser Lager hierherholen? Ich weiß, es ist eine Plackerei mit all den Brennsteinen, aber ich will das Zelt für ihn aufschlagen. Er muß aus der Kälte heraus, besonders wenn ich ihn einschläfere. Wir brauchen auch etwas Feuerholz. Ich will die Brennsteine möglichst nicht verbrauchen, und wir müssen Holz für die Schienen zuschneiden. Wenn er eingeschlafen ist, hole ich Birkenrinde; vielleicht kann ich auch ein paar Krücken für ihn machen. Er wird sich bewegen wollen - später."
Jondalar sah, wie sie die Sache in die Hand nahm, und lächelte in sich hinein. Die Verzögerung störte ihn gewaltig, selbst ein Tag war zuviel, aber auch er wollte helfen. Außerdem wäre
Ayla jetzt sowieso nicht zum Gehen zu bewegen. Er hoffte nur, daß es nicht allzulange dauern würde.
Jondalar nahm die Pferde mit zu ihrem ersten Lager, packte alles wieder ein und führte Winnie und Renner dann zu einer Lichtung, wo sie sich verdorrtes Gras suchen konnten. Hier und da gab es noch etwas stehendes Heu, das meiste jedoch lag unter dem kalten Schnee. Der Platz war nicht weit von ihrem neuen Lager entfernt, aber nicht in Sichtweite; die Tiere sollten die Clan-Leute möglichst nicht beunruhigen. Sie schienen die zahmen Tiere zwar als ein weiteres Beispiel des seltsamen Gebarens der Anderen zu betrachten, doch Ayla fiel auf, daß sowohl Guban als auch Yorga erleichtert wirkten, wenn die unnatürlich fügsamen Pferde außer Sicht waren, und sie freute sich, daß Jondalar darauf Rücksicht nahm.
Als er zurückgekehrt war, nahm Ayla ihren Medizinbeutel aus einem Packkorb. Guban hatte sich nur schwer dazu durch-gerungen, ihre Hilfe anzunehmen, aber es beruhigte ihn, ihren alten Medizinbeutel aus Otternfell, der nach Clan-Art einfach, praktisch und schmucklos war, zu erblicken. Sie schaffte auch Wolf aus dem Weg, und eigenartigerweise zeigte das Tier, das gewöhnlich neugierig und zutraulich war, wenn Ayla und Jondalar sich mit jemandem befreundet hatten, keine Neigung, sich mit den Menschen vom Clan abzugeben. Er schien es zufrieden, sich im Hintergrund zu halten, wachsam, aber in keiner Weise bedrohlich; Ayla fragte sich, ob er gespürt hatte, daß sie seinetwegen besorgt waren.
Jondalar half Yorga und Ayla, Guban in das Zelt zu tragen. Er war verblüfft, wie schwer der Mann war. Allein die Muskeln eines Körpers, der sechs Männer beschäftigen konnte, mußten ein schönes Gewicht abgeben. Jondalar spürte auch, daß die Bewegung schmerzhaft war, obwohl Guban sich nichts anmerken ließ. In ihm stiegen langsam Zweifel auf, ob der Mann den Schmerz überhaupt voll spürte, bis Ayla ihm erklärte, daß diese Art von Selbstbeherrschung den Clan-Männern von frühester Jugend an anerzogen wurde. Jondalars
Achtung vor dem Mann wuchs. Das war keine Rasse von Schwächlingen. Auch die Frau war erstaunlich kräftig und nicht viel kleiner als der Mann. Sie konnte ebensoviel tragen wie Jondalar, und wenn sie wollte, war der Griff ihrer Hand unglaublich fest. Dennoch hatte er
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