Zyklus der Erdenkinder 05 - Ayla und der Stein des Feuers
wussten nicht, dass sich auch eine Löwin an ihn anpirschte. Sie stürzte sich gerade auf ihn, als wir unsere Speere schleuderten. Die Speere trafen den Hirsch zuerst, aber die Löwin holte sich die Beute. Thonolan wollte hinterher. Er sagte, die Beute gehö re ihm und nicht ihr. Ich sagte ihm, er solle besser nicht mit einer Löwin streiten und ihr den Hirsch überlassen, aber er be stand darauf, dass wir ihr zu ihrer Höhle folgten. Wir warteten eine Weile, und als die Löwin sich wieder davonmachte, stieg Thonolan in die Schlucht hinunter, um sich ein Stück von dem Fleisch zu holen. Die Löwin aber war nicht allein, und ihr Ge fährte wollte nicht von der Beute lassen. Er tötete Thonolan und richtete auch mich ziemlich übel zu.«
Marthona fragte mit besorgter Miene: »Du wurdest von ei nem Löwen angefallen?«
»Wäre Ayla nicht gewesen, wäre ich gestorben«, sagte Jon dalar. »Sie hat mir das Leben gerettet. Sie hat ihn von mir ab gehalten und auch meine Wunden versorgt. Sie ist eine Heile rin.«
Marthona schaute Ayla und dann ihn verblüfft an. »Sie hat einen Löwen von dir abgehalten?«
Ayla versuchte zu erklären: »Winnie hat mir dabei geholfen, und ich hätte das auch nicht tun können, wenn es einfach ir gendein Löwe gewesen wäre.«
Jondalar verstand, warum seine Mutter verwirrt war, und er wusste, wie schwer das zu glauben war, was sie ihr zu erklären versuchten. »Du hast doch gesehen, wie Wolf und die Pferde auf sie hören ...«
»Du willst mir doch nicht erzählen ...«
»Sag du es ihr, Ayla.«
»Den Löwen habe ich gefunden«, begann Ayla, »als er noch ganz klein war. Er war von Rehen niedergetrampelt worden, und seine Mutter hatte ihn zurückgelassen, weil sie ihn für tot hielt. Er war auch so gut wie tot. Ich hatte die Rehe vor mir hergetrieben, um sie in meine Fallgrube zu lenken. Eines von ihnen stürzte auch tatsächlich hinein, und auf dem Rückweg ins Tal fand ich dann das Löwenjunge und nahm es ebenfalls mit. Winnie gefiel das gar nicht, denn der Löwengeruch verschreck te sie, aber ich brachte das Reh und den kleinen Löwen in mei ne Höhle. Ich behandelte ihn, und er erholte sich, aber er konn te noch nicht für sich selbst sorgen, also musste ich seine Mut ter sein. Auch Winnie lernte, sich um ihn zu kümmern.« Bei der Erinnerung daran musste sie lächeln. »Die beiden zusam men waren ein sehr komischer Anblick, als er noch klein war.«
Marthona wurde mit einem Mal etwas klar. »So machst du das also? Auch bei dem Wolf? Und den Pferden?«
Jetzt war es an Ayla, verblüfft zu sein. Nie zuvor hatte je mand den Zusammenhang derart rasch begriffen. Sie strahlte vor Freude. »Ja! Natürlich! Das habe ich immer allen zu erklä ren versucht! Wenn du ein Tier findest, das noch ganz jung ist, und es fütterst und aufziehst, als sei es dein eigenes Kind, dann wird es anhänglich, und auch du hängst an ihm. Der Löwe, der Thonolan tötete und Jondalar verletzte, war der Löwe, den ich großgezogen hatte. Er war für mich wie ein Sohn.«
»Ich nehme an, zu der Zeit war er ausgewachsen, nicht wahr?«, sagte Marthona. »Er hatte ja eine Gefährtin. Wie hast du es aber nur geschafft, ihn von Jondalar abzuhalten?«
»Wir jagten gemeinsam. Als er klein war, teilte ich meine Beute mit ihm, und als er größer wurde, brachte ich ihn dazu, seine Beute mit mir zu teilen. Er tat immer, was ich von ihm wollte. Ich war seine Mutter. Ein Löwe ist es gewohnt, auf die Mutter zu hören.«
Jondalar sah die ungläubige Miene Marthonas und sagte: »Ich konnte das ebenso wenig fassen. Dieser Löwe war der größte, den ich je gesehen hatte, aber als er gerade zu einem zweiten Angriff ansetzte, hielt Ayla ihn zurück, und er blieb wie angewurzelt stehen. Ich sah sie mehr als einmal auf seinem Rücken reiten. Das ganze Sommertreffen der Mamutoi sah sie den Löwen reiten. Ich habe es gesehen, und doch kann ich es noch immer kaum glauben.«
»Es tut mir sehr Leid, dass ich Thonolan nicht retten konnte«, sagte Ayla. »Ich hörte einen Mann schreien, aber als ich dort eintraf, war Thonolan bereits tot.«
Marthona wurde erneut von ihrem Gram überwältigt, und ei ne Weile schwiegen alle und waren mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt. Marthona aber wollte mehr über Thonolan erfah ren. »Ich bin froh, dass er eine Frau fand, die er liebte«, sagte sie.
Jondalar nahm das erste Bündel in die Hand, das er aus dem Gepäck geholt hatte. »An dem Tag, als Thonolan und Jetamio sich zusammentaten, sagte er mir, du
Weitere Kostenlose Bücher