die im Vergleich zu anderen Bildungsgruppen kürzere Nutzungszeit der Informationssendungen des Fernsehens durch formale höher Gebildete (vgl. dazu Klingler, 1999) wenigstens teilweise auf diese negativen Wirkungen zurückgeht: Gewalthaltige erregungsinduzierende Bilder be- oder verhindern vermutlich insbesondere bei diesen Zuschauern die kognitive Verarbeitung der dargebotenen Informationen. Sie könnten ihre mentale Aktivität für eine angemessene Selektion, Prüfung und Reflexion von TV-Nachrichten einsetzten, tun dies aber wegen der zunehmenden Dramatisierung und Boulevardisierung des Genres nicht mehr. Die Kultivierung mentaler Oberflächlichkeit durch das Fernsehen beeinflußt also Gebildete wie Ungebildete: Erstere schalten aus, letztere lernen nichts.
Aber das ist noch nicht alles. Auch wenn das Fernsehen mentale Oberflächlichkeit generiert, heißt das ja noch lange nicht, daß überhaupt nichts gelernt würde. Ganz im Gegenteil: »Fernsehen ist der gewaltigste Lieferant sozialer Images und Botschaften, den es – historisch gesehen – je gab. Es ist der mainstream der gemeinsamen symbolischen Umwelt, in den unsere Kinder hineingeboren werden und in dem wir alle unser Leben leben«, sagt der amerikanische Medienforscher George Gerbner (Gerbner et al., 1994, S. 17). Er hält dieses Medium – und nicht etwa das Elternhaus oder die Schule – sogar für die zentrale Erziehungssinstanz der amerikanischen Gesellschaft. Kann das nach allem wirklich stimmen?
Am Anfang steht die ziemlich triviale Erkenntnis, daß die TV-Welt ja keine unveränderte Abfilmung der realen Welt ist, sondern nahezu immer eine Veränderung, Überformung oder auch Verzerrung der Realität darstellt. Die Alltagswelt des Zuschauers und die Welt auf dem Bildschirm weisen erhebliche Unterschiede auf. Der Grundgedanke der Kultivierungsforschung besteht nun darin, daß besonders diejenigen Menschen, die sich dem Fernsehen sehr häufig aussetzen – die »Vielseher« -, auch ihre Beurteilung der realen Welt weitgehend aus der Welt des Fernsehens gewinnen. Sie lernen die »heimlichen Lehrpläne« des Mediums, das Fernsehen erklärt gewissermaßen dem (vielsehenden) Zuschauer die Gesetze, nach denen die Welt funktioniert.
Eine solche, fast dramatisch zu nennende Wirkungsannahme darf man nicht nur behaupten, man muß sie auch empirisch nachweisen. Dazu muß man zunächst eine Inhaltsanalyse von TV-Sendungen hinsichtlich der Art und Häufigkeit des Auftretens bestimmter Personengruppen, Ereignisse oder Verhaltensweisen vornehmen. Die Ergebnisse dieser Analysen sind mit denselben Merkmalen der realen Welt zu vergleichen. In einem dritten Schritt müssen dann Zuschauer nach ihren Beurteilungen der realen Welt gefragt werden. Stimmt die These, so sollten Menschen, die viel fernsehen, die reale Welt nach den Kriterien der TV-Welt beurteilen.
Genau so ist Gerbner bei der ersten Überprüfung seiner Idee vorgegangen. Erst hat er Gewaltprofile des amerikanischen Fernsehens erstellt. Er fand, daß rund 70% aller Programme in der Zeit zwischen 20.00 Uhr und 23.00 Uhr Gewaltdarstellungen enthielten – mit einem Durchschnitt von 5,7 gewalthaltigen Handlungen pro Stunde. Noch höher lag die Rate in den Kindersendungen des Wochenendes: Hier werden in 92% aller Sendungen Gewaltakte gezeigt, mit einem Schnitt von 17 pro Stunde. Man muß nicht lange darüber streiten, daß beide Werte viel höher sind als die normalerweise in der Realität anzutreffende Gewalt. Gerbner vermutete, daß die vielsehenden Zuschauer die reale Welt für gefährlicher halten müßten, als diese tatsächlich ist. Um dies herauszubekommen, klassifizierte er Zuschauer auf der Basis ihrer TV-Nutzungszeiten als Wenig-, Normal- oder Vielseher. Schließlich stellte er Fragen, mit denen das Ausmaß an Ängstlichkeit und Entfremdung gegenüber der realen sozialen Welt erfaßt wurde. Und tatsächlich: Vielseher haben mehr Angst als Wenigseher, nachts allein durch die Stadt zu gehen, schützen sich häufiger als Wenigseher durch Hunde, Waffen oder neue Schlösser vor Verbrechen, halten die allgemeine politische Lage für schlechter und haben weniger Vertrauen zu Politikern als die Wenigseher. Allerdings entsprechen die medieninduzierten Ängste oft nicht den realen Gefährdungen. Glassner (1999) hat das in seinem Buch The Culture of Fear: Why Are Americans Afraid of the Wrong Things an der Angst vor Kriminalität, vor Drogenmißbrauch, vor Flugzeugabstürzen u.a.m. nachgewiesen. Die Ängste
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