Manchmal schrie er auf. Margaret mußte zugeben, daß Henry, um in seinem eigenen Jargon zu reden, keine gute Publicity für die Institution des Schlummers war. Nicht daß mit großem Mitgefühl für die mißliche Lage seiner Frau zu rechnen war, war sie doch gar zu lächerlich und wahrscheinlich auch zu vertraut. Ein gutes Weib würde so etwas mühelos verkraften, auch wenn die Gelassenheit einer guten Ehefrau ihre Grenzen haben dürfte.
Die helle Glocke der Kirchturmuhr schlug vier und fünf und sechs, und Margaret schlief zu keiner Stunde. Die Uhr schlug auch zu den halben Stunden einmal sacht an. Kurz nach halb sieben – heftiger Regen, der etwa eine Stunde zuvor eingesetzt hatte, trommelte monoton gegen das Fenster – richtete Henry sich auf, darauf dressiert, den Erfordernissen des Tages zu genügen.
Beim Frühstück äußerte er, daß sie immer noch seltsam aussähe, und sie bemerkte, wie er darauf achtete, ob die Schweden sie beargwöhnten. Sie spürte auch jetzt nichts Außergewöhnliches. Sie hatte Henry nichts von dem Mangel an Schlaf erzählt. Sie sagte sich, daß es nach den Maßstäben derer, die schlecht schliefen, gar nichts bedeutete, eine Nacht nicht zu schlafen. Oder zumindest nach ihren laut geäußerten Maßstäben. Sie war dem Einfluß der Schlaflosigkeit in aller Wucht ausgesetzt gewesen, hätte ihm kaum machtvoller ausgesetzt sein können. Die Normalität, ihre eigene, möglicherweise ziemlich bemerkenswerte Normalität des Schlafenkönnens, würde vermutlich wiederkehren, wenn sie wieder in ihrem eigenen Bett lag. Wie es jetzt aussah, würde das übermorgen der Fall sein, aber man konnte nie wissen. Die Straße beherrschte alles.
»Hedvig Falkenberg hat nach dir gefragt«, sagte Henry. »Ziemlich ausdrücklich. Nimm irgendwie Kontakt auf, ja? Ich kann mir Unfreundlichkeit gegenüber den Falkenbergs nicht leisten. Zusätzlich zu allem anderen. Sie können verdammt empfindlich sein, diese Ausländer.«
Margaret sagte mehr oder weniger zu und nahm sich vor, Wort zu halten. Sie würde sich nicht einmal, wie zu Hause, mit dem entsetzlichen schwedischen Telephon herumplagen müssen. Sie würde lediglich etwa eine halbe Meile bis zum Haus der Falkenbergs einen flachen Hügelkamm oberhalb der Stadt ersteigen müssen. Besucher schienen jederzeit nicht nur willkommen, sondern geradezu erwünscht zu sein. Der Spaziergang würde ihr guttun. Selbst der Dauerregen mochte aufmunternd oder einschläfernd auf sie wirken: Es war bemerkenswert, wie eine Ursache so gegensätzliche Resultate zeitigen konnte. Aber Margaret ließ die Stunden verstreichen und blieb untätig. Und als Henry am Abend zurückkam, brauchte sie noch nicht einmal eine Entschuldigung.
»Alles ist unter Dach und Fach, Molly«, rief er fast überschwenglich. »Gott sei Dank, morgen können wir nach Hause fahren.«
Möglicherweise hing es damit zusammen, daß eine Last von seiner Seele genommen war. Henry schlief in dieser zweiten Nacht nach seiner Rückkehr aus Stockholm weit ruhiger, besser, wie man so sagt. Margaret hörte ihn sanft und gleichmäßig atmen wie ein Kind; Stunde um Stunde um Stunde, während die Kirchturmuhr schlug und der Regen prasselte. Und indem ihre zweite schlaflose Nacht langsam verstrich, hörte Margaret auf, nach Erklärungen zu suchen, Entschuldigungen vorzuschützen und sich selbst etwas vorzumachen.
Wenn sie nur umhergehen könnte! Ein paar Minuten nach Schlag fünf verließ sie ihr Bett und zog in der fast vollkommenen Stille ihr Männerhemd, Hose und Anorak an. Lange Zeit stand sie da und schaute hinaus in die unendlich langsam und träge heraufziehende Morgendämmerung. Sie wäre gern geflohen, aber in diesem Hause würde die Tür verschlossen sein, würde der Nachtportier, falls es einen gab, ängstlich vor ihr zurückweichen, ohne daß Verständigung möglich gewesen wäre. Sie mußte noch ein Weilchen vernünftig sein.
Sie verstaute ihre Sachen und kroch zurück ins Bett. Henry schnurrte immer noch vor sich hin, aber als sie an ihn heranrückte, schien er einen eigenartigen Seufzer auszustoßen – wie jemand, der von der Vergangenheit träumt, die immer so viel süßer ist als die Gegenwart.
»Henry«, sagte Margaret nach dem Frühstück, »du hast mehrmals gesagt, daß ich nicht besonders gut aussehe. Tatsache ist, daß ich nicht geschlafen habe. Und ganz zufällig habe ich einen Ort gefunden, den Menschen aus aller Welt aufsuchen, wenn sie keinen Schlaf finden. Würde es dir sehr viel
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