0002 - Die Totenkopf-Insel
des blondhaarigen Mannes, der von unsichtbaren Händen in den Raum gezogen wurde.
Wieder klirrten Kettenglieder. Dann befahl eine rauhe Stimme. »Laßt ihn los!«
Die Leiche fiel zu Boden.
Proctor deutete auf den Toten. »Wer ist das?«
Eine Stimme antwortete. Geisterhaft, hohl klingend. »Wir haben ihn am Strand gefangen genommen. Er wehrte sich. Wir mußten ihn töten.«
»Kennt ihr den Mann?«
»Nein«, erwiderte die Stimme.
»Durchsuch ihn!« befahl Proctor dem Araber.
Ali bückte sich. Mit einer Hand tastete er die Leiche ab. Dabei förderte er eine Pistole zutage und ein Funkgerät.
Proctor wurde blaß. Sein häßliches Gesicht verzog sich zu einer abartigen Grimasse. »Ein Funkgerät!« zischte er. »Ein Spion. Dieser Mann ist ein Spion!«
»Aber er ist tot«, sagte die Geisterstimme. Andere Männer lachten hämisch.
»Na und? Er wird irgendwo Bescheid gesagt haben, was auf dieser Insel los ist. Sieh nach, Ali, ob er Papiere hat.«
Der Araber gehorchte. Er fand aber nichts, was auf die Identität des Toten hinwies.
Basil Proctor fluchte. Er fuchtelte mit beiden Armen herum und rief plötzlich. »Da sind die anderen! Noch eine Fuhre, dann ist eure Mannschaft vollständig.«
»Wir haben sie schon gesehen!« Wieder waren Schritte zu hören. Sie näherten sich den schreckensstarren Menschen.
Plötzlich schrie Mrs. Kelland auf. Sie hatte Finger an ihrem Körper gespürt. Sie glitten über die Schulter und an der Hüfte entlang. »Eine gute Frau. Wir werden mit ihr noch viel Spaß haben!«
»Neiiinn!« brüllte Mrs. Kelland. Sie drehte sich um und rannte in den letzten Winkel des Raumes.
»Packt sie!« schrie wieder die Geisterstimme.
Da drehte Cliff Kelland durch. Er rannte auf seine Frau zu, wollte sich schützend vor sie stellen, doch noch ehe er sie erreichte, packten ihn die Unsichtbaren.
Harte Fäuste umklammerten Cliff Kelland, rissen ihn zurück. Und dann prasselten die Schläge wie Hagelkörner auf ihn nieder, während Basil Proctor sich vor Lachen kaum halten konnte.
Cliff Kelland taumelte, wurde hin- und hergerissen. Eine unsichtbare Hand packte seine Haare und riß den Kopf nach hinten. Kelland stöhnte auf.
Obwohl er nichts sah, fühlte er die Spitze eines Messers an seiner Kehle. Ein winziger Blutstropfen quoll aus seiner Haut. Er rann langsam den Hals hinab.
»Ich glaube, das reicht«, meinte der Unsichtbare. »Wenn du dich noch einmal gegen uns stellst, schneiden wir dir die Kehle durch!« Ein rauhes Lachen folgte, dann wurde Cliff Kelland auf den Boden gestoßen.
Seine Frau saß in der Ecke und schluchzte jämmerlich. Sie war mit den Nerven am Ende.
Die Schritte entfernten sich. »Wir warten auf die anderen«, verkündete der Anführer der Geisterpiraten. Für Sekunden begann die Luft zu flimmern, und jeder der Gefangenen glaubte, altertümlich gekleidete Gestalten zu sehen. Wilde, bärtige Gesichter. Einer der Kerle trug eine Augenklappe, und bewaffnet waren die Unheimlichen bis an die Zähne.
Dann war der Spuk verschwunden.
Basil Proctor klatschte in die Hände. »Das waren meine Freunde. Zweifelt ihr jetzt immer noch?«
Keine Antwort. Die Menschen blieben stumm. Das Grauen hatte sie gestreift wie der Pesthauch der Hölle. Und ihnen war klar geworden, daß sie keine Chance hatten, dem schrecklichen Schicksal zu entgehen. Der Tote, der zu ihren Füßen lag, hatte vielleicht versucht, das Rätsel zu lösen.
Es war beim Versuch geblieben…
Proctor wandte sich an seinen Leibwächter. »Schaff sie zu den anderen. Ali!« befahl er. »Sie haben noch vierundzwanzig Stunden Galgenfrist. Dann werden sie auf dem Geisterschiff die Meere durchkreuzen. Und ich erhalte mein wahres Aussehen wieder und dazu den Schatz der Piraten.«
Proctor drehte den Rollstuhl und glitt wie ein Schatten hinein in die Dunkelheit des Ganges.
Die Opfer aber wurden zusammengetrieben. Hintereinander mußten sie den Raum verlassen. Sie gingen schleppend, die Köpfe gesenkt. Ihr Widerstand war gebrochen. Für sie war ein Alptraum Wirklichkeit geworden.
***
Die Strecke London – Plymouth betrug ungefähr dreihundertfünfzig Kilometer. John Sinclair wollte sie am frühen Abend geschafft haben.
Der Geisterjäger fuhr zügig, konnte aber seinen errechneten Schnitt nicht einhalten, da ziemlich viel Verkehr herrschte.
Gegen achtzehn Uhr schließlich erreichte der Oberinspektor die Hafenstadt. Er war nicht zum erstenmal in Plymouth und kannte sich ein wenig aus. Er wußte auch, wo ungefähr das Landhaus des
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