0004 - Im Totenreich der Ghouls
Winner.«
»Im Grunde ist Unbefugten ja der Zutritt strengstens untersagt«, erwiderte der Leichenbestatter. »Und die Befugten wissen Bescheid.«
Zamorra nickte nachdenklich. Er schaute sich den bodenlosen Raum noch einmal an.
Plötzlich hatte er eine Idee, die es wert war, weitergesponnen zu werden. Als sein Plan ausgereift war, sagte er zu David Winner: »Bitte, erschrecken Sie nicht, aber ich halte es doch für angezeigt, Sie zu warnen!«
»Mich?« preßte Winner erschrocken hervor.
Zamorra nickte. »Da es dieser Ghoul auf sieben Menschen aus seinem engsten Bekanntenkreis abgesehen hat, sind möglicherweise auch Sie in Gefahr. Deshalb wäre es von größtem Nutzen, wenn Sie ein paar kleine Vorkehrungen zu Ihrem persönlichen Schutz treffen würden.«
Winner schien nicht richtig zuzuhören. Kein Wunder. Er dachte immer noch an Jessica und was ihr widerfahren war.
»Wollen Sie das tun?« fragte Zamorra.
»Natürlich«, sagte Winner. Er hatte also trotz seines geistesabwesenden Gesichtsausdrucks genau zugehört. »Natürlich, Professor Zamorra. Ich werde tun, was Sie vorschlagen.«
Zamorra nickte zufrieden. »Gut. Dann passen Sie jetzt genau auf…«
***
Vladek Zemetkin hatte den Kopf in beide Hände gestützt. Er schluchzte lautlos. Dann begann er zu sprechen. Mit leiser, monotoner Stimme.
»Meine Frau und ich hatten gedacht, nach unserer Flucht aus Prag hier in London einen neuen Anfang machen zu können. Es ging ja auch einige Zeit ganz gut. Aber dann«, Zemetkin unterbrach sich, weil ein paar Tränen seine ausgemergelten Wangen hinabliefen, »aber dann starb meine Frau. Ich war wieder allein. Und nun noch dieses gräßliche Erlebnis auf dem Friedhof. Aber warum erzähle ich Ihnen das alles, Mr. Fleming.«
Zemetkin fuhr sich mit einer verzweifelten Bewegung durch das eisengraue Haar.
Die beiden Männer saßen einander in Zemetkins Wohnzimmer gegenüber. Ein finsterer Raum, für den er wohl nicht viel Miete bezahlte. Die Möbel waren alt. Seit seine Frau tot war, herrschte Unordnung in der ganzen Wohnung. Er fand sich nicht zurecht. Er wollte es auch gar nicht. Er gab sich einfach auf.
»Ich habe sie in der Erde eines freien Landes begraben!« sagte Vladek Zemetkin mit ein wenig Stolz in der zittrigen Stimme. »Sie können sich nicht vorstellen, Mr. Fleming, wie mich ihr Tod schmerzte… Ganz wenige Menschen kamen zur Beerdigung. Wir haben sehr zurückgezogen gelebt, wissen Sie? Kaum jemand hat uns gekannt. Wir waren scheu… Von früher noch. Das kann ein Mensch nicht einfach ablegen… Jeden Tag - immer wollte ich ihr Blumen auf das Grab legen. Jeden Tag - immer sollte sie sich an diesen Blumen erfreuen… Aber…« Er verzog das Gesicht wütend und voll Grauen. »Da war dieses fürchterliche Scheusal! Es ist über den Leichnam meiner geliebten Frau hergefallen…«
Zemetkin schrie seinen Schmerz nun schon schrill heraus. Er regte sich so sehr auf, daß Bill befürchtete, den alten Mann könne der Schlag treffen.
»Es war so furchtbar, Mr. Fleming! Ich kann mit Worten nicht ausdrücken, was ich empfand! Ekel! Haß! Wut! Meine Frau! Meine geliebte Frau! Sie - sie war nicht mehr wiederzuerkennen, Mr. Fleming. Dieses abscheuliche Monster hatte sie völlig aufgefressen… O Gott! Wieso darf es so etwas geben?«
Wieder weinte er.
Er war in sich zusammengesunken, war nur noch ein zuckendes Menschenbündel. Ein heulendes Häufchen Elend.
Bill Fleming sprach ihn nicht an.
Er wartete, bis der frisch aufgewühlte Schmerz sich wieder ein wenig setzte.
Als das geschehen war, sagte er vorsichtig: »Inzwischen hat dieses Monster ein junges Mädchen ermordet, Mr. Zemetkin. Und es wird noch sechs weitere Menschen töten, wenn es uns nicht gelingt, dieses Ungeheuer zu stellen und zu vernichten.«
Vladek Zemetkin richtete seinen trüben Blick auf Bill.
»Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen helfen könnte, Mr. Fleming.«
»Sie haben den Ghoul verjagt, nicht wahr?«
Zemetkins Stimme wurde sofort wieder schrill. »Er hat so furchtbar ausgesehen, Mr. Fleming! Ich dachte, ich würde wahnsinnig! Er bestand aus einer stinkenden, schleimigen, gallertartigen Masse! In meiner grenzenlosen Verzweiflung schlug ich mit einem Spaten auf ihn ein, doch das scharfe Spatenblatt konnte ihn nicht verletzen. Dieses widerliche Untier kroch aus dem Grab meiner Frau! Wahrscheinlich wäre das Monster auch über mich hergefallen, wenn nicht einige Leute angelaufen gekommen wären. Sie haben ihn verscheucht. Nicht ich, Mr. Fleming.
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