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0009 - Der Hexenmeister

0009 - Der Hexenmeister

Titel: 0009 - Der Hexenmeister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
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Abendtisch saßen.
    »Komm jetzt«, wiederholte Odile Blanche leise. Sie bekreuzigte sich, ehe sie durch eine Hintertür ins Freie schlüpfte. Sie zog die Freundin mit sich.
    Nicole Duval schaute sich ängstlich um.
    Leer und weit lag die Flanke des Col de la Chutte vor ihnen. Die untergehende Sonne überschüttete die schwärzliche Ruine mit einem unwirklichen Licht. Es sah aus, als würde in einem Kessel Blut gekocht. Doppelt unheimlich wirkte die zerstörte Basilika zu dieser Stunde. Wehe dem, der um das unheimliche Leben in der Ruine wußte. Er mußte sich wie gelähmt fühlen, unfähig, dem nahenden Unglück zu entgehen und sich dem finsteren Bann zu entziehen.
    Die Mädchen schlichen durch einen verwilderten Garten, der unmittelbar an das Haus anschloß und reichlich Deckung bot.
    Sie kämpften sich durch eine Brombeerhecke. Die Ranken und Dornen griffen nach ihnen. Sie ritzten die Haut auf, beschädigten die Kleider.
    Danach kamen die Mädchen gut voran, sobald sie das freie Feld erreicht hatten. Der schüttere Bergwald nahm sie auf.
    Dunkelheit senkte sich wie ein Leichentuch über die Landschaft.
    Unbeirrt aber strebte Odile Blanche weiter. Sie folgte einem Weg, der die Flüchtigen nahe an der Basilika vorbeiführen mußte. Beide Mädchen bemühten sich, nicht an diesen Teil des Weges zu denken.
    Und dann geschah es!
    Ein Geruch wie von Weihrauch und Myrrhe erfüllte die Luft. Aus der Ruine wehten verloren Töne herüber. Ein langgezogener gregorianischer Choral. Totenglocken bimmelten.
    Irgendwo schrie ein Käuzchen. Der Mond versteckte sich hinter einer Wolkenbank.
    Ängstlich schaute Nicole Duval auf die Basilika, deren rauchgeschwärzte Reste in einer Entfernung von knapp hundert Schritten lagen, ein Kranz geborstener Steine und Säulen inmitten der verdorrten Vegetation.
    Nicole Duval krallte ihre Finger in den Arm der Begleiterin.
    »Dort«, flüsterte Professor Zamorras Sekretärin mit halberstickter Stimme. »Sieh doch!«
    Vor der zerstörten Kirche sammelte sich ein schweigendes Heer.
    Reiter auf fleischlosen Mähren, mit Sensen und Morgensternen in den Händen. Totenschädel grinsten dämonisch unter erdbraunen Kapuzen. Blanke Knochenfüße stemmten sich in leise klirrende Steigbügel.
    Nebelschwaden wallten durch leere Rümpfe, zogen durch dürre Rippen und hohle Augenlöcher. Auf den Lippen der lebenden Leichen lag ein überirdisches grünliches Phosphoreszieren.
    Dann stand Manasse auf einem Mauerrest, wie aus der Erde gewachsen. Seine toten Augenhöhlen richteten sich auf die Mädchen.
    Wind kam auf. Er verhalf den düsteren Wacholderbüschen diesseits der toten Zone zu einem gespenstischen Leben. Nebel zerfaserte. Dunstschleier zerrissen.
    Aus den Tiefen der Erde erhob sich ein Schrei der Qual und Hoffnungslosigkeit. Mit Schaudern erkannte Nicole Duval die Stimme des Amerikaners. Was mochte Bill Fleming erdulden, daß er so entsetzlich schrie? Was hatte die ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹ mit ihm angestellt? Was hatten diese Dämonen mit ihren neuen Opfern vor?
    Nicole Duval hatte sehr schnell Grund, an ihr eigenes Schicksal zu denken. Denn mit herrischer Gebärde schickte Manasse seine Getreuen auf die Fährte der Mädchen, ließ seine Bluthunde von der Leine.
    Lautlos zog die Schar durch das Gelände. Die Gerippe bildeten eine Treiberkette. Knochengestalten stießen in den Bergwald vor.
    Fleischlose Gäule setzten sich steif in Bewegung. Sie schienen keinen Huf zu rühren, und doch kamen sie vorwärts. Sie flogen heran.
    Hautfetzen und Haarreste flatterten im Wind.
    Das unheimliche Heer raste heran mit drohend erhobenen Sensen, die im Licht eines bleichen Mondes funkelten, der sich eben wieder aus seinem Versteck wagte und die gespenstische Szene beleuchtete.
    ***
    Anklagend schoß der Zeigefinger des Kuttenträgers vor, deutete auf das junge Mädchen mit dem feuerroten Haarschopf, das sich in den Fesseln aufbäumte.
    Abwehrend hob der Dominikaner das Kreuz, hielt es der Besessenen entgegen. Ein Folterknecht packte die Delinquentin brutal im Genick, zwang sie, das Kreuz anzuschauen.
    »Gestehe, daß du des Satans bist, Odile Blanche!« donnerte der Dominikaner mit den hageren, asketischen Gesichtszügen.
    »Gesteh!« forderte murmelnd die Gemeinde, die auf dem Marktplatz kniete und mit weit aufgerissenen Augen das Schauspiel verfolgte, das in jener Zeit in Frankreich und in Europa alltäglich zu werden drohte. Nachbarn denunzierten einander bei den Behörden der Inquisition, bemüht,

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