0012 - Der Dämonenknecht
entfernt erscheinende Tiefe. Auf allen vieren krochen sie in der Dunkelheit abwärts. Zamorra achtete nicht mehr auf Perez, der sich nur mit einem Arm abstützen konnte und Mühe hatte, ihm zu folgen.
Endlich wurde der steile, felsige Untergrund flacher. Sie konnten sich aufrichten und kamen nun schneller vorwärts.
Nach einiger Zeit standen sie zwischen den großen Blöcken und Mauerresten einer geheimnisvollen und toten Stadt. Verzweifelt blickte Zamorra auf die im Sternenlicht kalt schimmernden weißen Granitmauern, aus denen ihn dunkle Fensterhöhlen wie riesige Glotzaugen drohend anstarrten.
Wo war Nicole? Er mußte sie finden.
Zamorra unterdrückte seine aufkommende Hoffnungslosigkeit.
Seine Gestalt straffte sich. Er eilte weiter. Über Straßen, Treppen, durch Tore und Durchlässe fegte er in einem Tempo, das einem mittelmäßigen Langstreckenläufer zur Ehre gereicht hätte. Einmal blickte er sich kurz um. Von Perez war nichts mehr zu sehen.
Auch egal, dachte Zamorra in wildem Zorn. Der Kerl ist doch nichts anderes als ein Massenmörder.
Plötzlich, als er gerade um einen riesigen Mauerblock gebogen war, stockte sein Fuß.
In einiger Entfernung erkannte er deutlich mehrere kleine flackernde Feuer. Das sind die hellen Punkte, die ich vom Berg gesehen habe, durchfuhr es ihn.
Zamorra ging langsam weiter.
Fieberhaft überlegte er. Wo Lagerfeuer sind, ist auch Leben. Wie zur Bestätigung seiner Gedanken sah er beim Näherkommen zwei, drei Gestalten, die sich zwischen den Feuern bewegten. Der Wind trug die Töne einer Flöte an sein Ohr.
Eine fremde Melodie.
Über ihm blinkte das Kreuz des Südens. Zum Greifen nahe und doch unendlich fern.
Zamorra spürte, wie seine Kehle sich zusammenzog. Das Unwirkliche seiner Situation wurde ihm schmerzhaft bewußt.
Er befand sich nicht in Europa, sondern auf der anderen Seite der Erdkugel, und der plötzliche Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz.
Vielleicht in einem ganz anderen Zeitalter, einem anderen Jahrhundert. Diese teuflische Wand auf Schloß Santillana, die die Schwelle zwischen zwei Welten darstellte, konnte ihn auch in eine andere Zeit geschleudert haben.
Alles war möglich.
***
Stumm stand Zamorra inmitten der grauen Eintönigkeit und bedrückenden Melancholie, dieser trostlosen, vegetationsarmen Landschaft, die der Schein des Mondes in ein gelblichfahles Licht tauchte.
Drüben, zwischen den Feuern, bewegten sich einige finstere Gestalten. Zamorra überlegte ein paar Herzschläge lang, dann setzte er sich wieder in Bewegung.
Vorsichtig, alle Sinne gespannt, schlich er vorwärts. Nach einigen Schritten schlug er einen Haken nach links und stand schon nach kurzer Zeit vor einer halbverfallenen Hütte, einem langgezogenen windschiefen Bau. Die feuchten, roh zusammengehauenen Holzwände strömten einen modrigen Geruch aus.
Leise bewegte Zamorra sich um die Hütte herum. Auf der anderen Seite fand er eine aus dicken Bohlen bestehende Tür, die mit einem einfachen Holzpflock verschlossen war.
Er zog den Pflock heraus. Knarrend schwang die Tür zurück.
Ein penetranter Gestank nach Schweiß, Kot, Tod und Verwesung schlug ihm entgegen. In der undurchdringlichen Schwärze, die im Innern der Hütte herrschte, war nichts zu erkennen.
Zamorra fischte Dr. Amondos Taschenlampe aus seiner Jackentasche und knipste sie an. Der helle Lichtstrahl fuhr über in Fetzen gehüllte Körper und faltige, bleiche, von wirren Haaren und Bärten umrahmte Gesichter.
Männer und Frauen lagen auf dem blanken Boden der Hütte. Einer von ihnen richtete sich auf und hielt, von Zamorras Lampe geblendet, die Hände vor die Augen. Die anderen blieben apathisch, erschöpft, mehr tot als lebendig regungslos am Boden liegen. Sie bemerkten den in der Tür stehenden Mann überhaupt nicht.
Zamorra schluckte. Das waren sie also, die vermißten Menschen aus Santillana.
Der Strahl der Lampe war auf einem aufgedunsenen Gesicht mit hervorgequollenen Augen hängengeblieben, auf dem Gesicht eines Toten.
Das Blut in Zamorras Adern gefror. In dieser Hütte waren Lebende und Tote zusammengepfercht.
Alle Sinne Zamorras sträubten sich. Der widerliche Gestank trug entscheidend das Seine dazu bei, daß ihm übel wurde. Alles drehte sich vor seinen Augen. Er taumelte ein paar Schritte zurück, beugte sich zur Seite und würgte den Rest seines Mageninhalts heraus.
»Hallo«, drang plötzlich eine Stimme an Zamorras Ohr.
Er fuhr zusammen und blickte auf.
Im Türrahmen der Hütte lehnte ein Mann,
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