0013 - Die Knochengrube
und ohne von der tosenden See in seiner Fahrt beeinflußt zu werden.
Die »Estrella Negra« bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von 21 Knoten. Wie damals, vor fünfundsiebzig Jahren. Vor ihrem Untergang.
Die oberen Decks waren wie leergefegt, und auch auf der Kommandobrücke befand sich niemand. Die schaurigen Knochengestalten hatten sich in den Speisesalon erster Klasse zurückgezogen, einem Saal, der sich von der Backbord- bis zur Steuerbordseite des Schiffes ausdehnte und durch eine gewaltige Glaskuppel gekrönt wurde. Pomp und Luxuskitsch hatten einst auf der »Estrella Negra« geherrscht – nachempfundenes Rokoko hatte die Architekturepoche des auslaufenden 18. Jahrhunderts beherrscht. Nun war die Glaskuppel zerbrochen, die Tapeten waren zerrissen, die Wände des Salons fleckig.
Feuchtigkeit und Rost bestimmten das Interieur. Es gab nur noch wenige halbverrottete Stühle und einen großen Tisch, die in der Mitte des Speiseraums ohne System zusammengestellt worden waren.
Hier hockten sie, die fünfzehn Geistermatrosen. Raspani hatte das Kopfende des Tisches eingenommen und bedeutete seinen Untertanen, was sie ihm zu reichen hatten oder sich selbst zu Gemüte führen durften. Es knackte grausig in den Knochengelenken der Untoten, wenn sie ihrem Herrn ehrerbietig grünoxydierte Silberplatten zuschoben. Wein, der in den Fässern des Proviantraums zu Essig gegärt war, wurde in schmutzstarrenden Gläsern serviert.
Abstoßend auch die Zusammenstellung der Mahlzeit: rohe Muscheln, Krebse und andere Schalentiere, zappelnde Fische und Kraken, die immer wieder von den Tabletts zu Boden fielen oder sich träge aus Terrinen schälten. Raspani und seine Gespenster zerpflückten die Tiere mit den Krallenhänden und stopften sich die noch zuckenden Gliedmaßen zwischen die Zähne. Sie hatten kein echtes Nahrungsbedürfnis. Ihre mit Fetzenkleidung bedeckten entsetzlichen Gestalten benötigten kein Essen und Trinken, um sich weiterhin bewegen zu können. Sie starben nicht, aber die Mahlzeit war für sie soviel wie ein subtiler Genuß der Vernichtung, der Gemeinheit und Grausamkeit.
»Wir werden sie töten«, sagte Raspani und wischte sich die Finger an seiner schwarzen Kleidung ab. Seine schwarzen Augen glitten in den Höhlen hin und her.
»Diesmal werden alle noch Lebenden aus der Sippe des Cesar Saldana daran glauben müssen, denn in diesem häßlichen 1974 jährt sich zum 75. Mal der Tag, an dem die ›Estrella Negra‹ vom Meer verschlungen wurde.« Er lachte. Die Gespenster fielen kichernd ein.
Sie schüttelten sich vor Vergnügen, und das Klappern der Knochen wurde zu einem rhythmischen und lauten Geräusch…
Raspani zeigte die gelben Zähne. »Bis zum 13. Oktober werde ich meinen Racheschwur erfüllt haben. Es gibt keinen Menschen, der mich daran hindern kann. Schärft eure Säbel – es sind zwei Frauen und ein Mann, denen wie dem Wurm Pravemann das Haupt vom Rumpf getrennt werden muß. Wehe dem, der sich mir entgegenstellt!« Er hatte sich in Eifer geredet, wurde ärgerlich. Seine dürre Hand formte sich zur Faust, und knallte auf die Tischplatte.
Die Geister duckten sich ängstlich. Es gab nichts, was ihnen zu schaffen machen konnte, ihnen Schmerzen und seelische Pein zufügen konnte – außer Raspanis Wut.
Der Geist des spanischen Kapitäns fegte eine der Terrinen vom Tisch. Der Porzellanbehälter zersplitterte und gab einen fetten Kraken frei. Verwirrt schlängelte er sich über den Boden des Speisesalons.
Raspani verließ den Saal. Er stieg bis auf das Promenadendeck empor, schaute eine Weile mit verschränkten Armen auf den Atlantik hinaus. Der Anblick der aufgepeitschten, grün und schwarz schillernden Wasserwüste beruhigte ihn etwas. Brummend schlich er weiter.
Er betrat den Musiksalon.
Die Polster der Sessel waren aufgedunsen und verfault, die verschnörkelten Bilderrahmen und Spiegel hatten längst keinen Halt mehr. Mitten in der Stuckdecke klaffte ein großes Loch, weil eine der Stützsäulen in der Mitte durchgeknickt war. Der Konzertflügel lag umgekippt und mit zerrissenen Saiten vor einer Verbindungstür.
Das einzig intakte Instrument war die in die Wand eingebaute kleine Orgel. Raspani hatte sie selbst instandgesetzt. Er hatte eine Schwäche für Orgelmusik. Eigentlich hatte er studieren wollen, war aber 1878 bei der Aufnahmeprüfung am Konservatorium Madrid durchgefallen. Die Stücke, die er beherrschte, hatte er als Autodidakt erlernt.
Raspani setzte sich auf den Hocker vor den
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