0014 - Der schwarze Henker
gestoßen, ich wußte es nicht. Ich bückte mich und bekam eine Tüte zu fassen.
Der Konstabler fragte erstaunt: »Was machen Sie denn da, Herr Oberinspektor?«
Ich klopfte den Schnee von der Tüte und konnte die Aufschrift erkennen. ›Highland Boutique‹, las ich.
Ich hielt die Tüte hoch. »Können Sie sich erklären, Konstabler, wie eine Türe aus der Highland Boutique hierher kommt?«
Archer schüttelte den Kopf.
Ich klappte meinen Fund auseinander und holte einen Schottenrock hervor. »Der ist für eine Frau«, sagte Archer. »Unsere Männerröcke sehen anders aus.«
Ich vernahm seine Stimme wohl, aber kam jedoch nicht mit, was er genau sagte. Meine Gedanken irrten in eine völlig andere Richtung. Ich wurde an Glenda Perkins erinnert. Soviel ich wußte, hatte sie vorgehabt, in Pitlochry einkaufen zu gehen. Ich kannte zwar ihre Wünsche und ihren Geschmack nicht, konnte mir aber vorstellen, daß sie sich einen Rock gekauft hatte. Und jetzt fand ich die Tüte vor James Rileys Haus.
Hirngespinste? Zufall? Oder sollte sich Glenda Perkins in Rileys Gewalt befinden? Der letzte Gedanke stimmte mich verdammt nachdenklich. Ich roch förmlich die Gefahr, die auf uns lauerte.
»Was ist denn, Sir?«
Ich sagte dem Konstabler nichts von meinem Verdacht. Er sollte Riley unvorbelastet gegenübertreten.
»Alles okay«, erwiderte ich und ließ die Tüte fallen.
»Na also.« Konstabler Archer stapfte schon wieder auf das Haus zu. Nach drei Sehritten erreichte er die Tür. Ich blieb schräg hinter ihm stehen. Eine alte Angewohnheit, die man uns in der Polizeischule eingehämmert hat.
Eine Klingel gab es nicht. Archer klopfte auch nicht an, sondern hämmerte mit der Faust gegen die Bohlen.
Dazu schrie er gegen das Heulen des Windes an. »Mach auf, Riley! Wir haben mit dir zu reden. Hier ist Konstabler Archer.« Er wollte auch meinen Namen rufen, doch ich schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
Drinnen rührte sich nichts. Wenigstens konnten wir nichts hören.
»Versuchen Sie’s noch mal!« sagte ich.
Wieder hämmerte Archer gegen das Holz.
Und dann hörten wir die Stimme. Sie klang rauh und haßerfüllt. »Haut ab, da draußen. Ich will keinen sehen!«
Archer holte tief Luft. »Mensch Riley, sei vernünftig Wir wollen dir nur ein paar Fragen stellen.«
»Ich will keinen sehen.«
»Dann brechen wir die Tür auf, verdammt.«
Lachen.
»Ich sehe an der Seite nach«, sagte ich und hatte mich schon abgewandt, als die Handlung eine dramatische Wende nahm.
Im Haus peitschte ein Schuß auf. Es hörte sich an wie ein dumpfes Donnern. Den nächsten Vorgang sah ich wie in einem Zeitlupenfilm. Trotzdem war es zu Spät, noch rettend einzugreifen.
Knapp über Brusthöhe zersplitterte das Holz der Tür. Wuchtig durchschlug das schwere Geschoß die Planken und traf den Konstabler in die linke Schulter.
Mit einem Schmerzensschrei fiel Archer zu Boden. Er preßte seine rechte Hand gegen die getroffene Stelle. Stoff und Muskeln waren zerrissen. Blut strömte aus der Wunde und färbte den Schnee rot. Weit hatte Archer die Augen aufgerissen. Sein Gesicht war blutleer.
Ich warf mich zu Boden und robbte zu ihm.
»Hoffentlich habe ich dich getroffen, du Dreckskerl!« brüllte Riley aus dem Innern des Hauses.
Ich zog den Konstabler in Deckung. Legte ihn dicht neben die Hauswand, in den toten Winkel.
»Dieser Verbrecher!« flüsterte Archer. »O verdammt, schießt einfach ohne…«
»Reden Sie jetzt nicht«, sagte ich. Mein sauberes Taschentuch hielt ich bereits in der Hand und legte einen Notverband um die Wunde.
»Ich schaffe Sie zum Wagen, Konstabler.«
Archer schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Die Verletzung bringt mich nicht um. Ich war im Krieg und habe öfter was abgekriegt. Kümmern Sie sich um Riley, sonst ist er weg.«
Ich dachte rasch nach. Archer hatte recht. Die Verletzung war wirklich nicht lebensgefährlich. Außerdem hatte ihn die Kugel nicht voll getroffen, sondern nur gestreift. Aber bei dem Kaliber war auch eine Streifschußwunde eine nicht ungefährliche Verletzung.
Mit dem rechten Arm drängte Archer mich fort. »Packen sie ihn, Sir. Los doch!«
Im Haus hörte ich Riley wieder schreien. »Seid ihr endlich weg, ihr Dreckskerle?«
Ich verhielt mich ruhig. Daß ich nicht durch die Vordertür kommen konnte, war klar. Folglich mußte ich es von der anderen Seite versuchen. Ich schlich an die Seitenwand des Hauses. Sofort packte mich der Wind. Er hob Schnee vom Boden hoch und wirbelte ihn mir ins
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