0014 - Der schwarze Henker
rieselte es weiter. Ununterbrochen, als stünde eine Weltmeisterschaft im Schneefall bevor. Ein scheußliches Wetter.
Archer fuhr Schrittempo. Die Räder mahlten durch den Matsch. Der Konstabler mußte jede Kurve behutsam angehen. Auch mit dem Bremspedal ging er vorsichtig um.
»Das Wetter sind wir hier gewohnt«, meinte er. »Gut, daß ich die Winterreifen noch nicht abmontiert habe. Als hätte ich es geahnt. Schneit es in London auch noch?«
»Nein.« Ich drückte die Zigarette aus.
»Riley ist übrigens ein Waffennarr«, sagte der Konstabler plötzlich.
»Sammler?«
Archer nickte. »Auch das. Aber soviel ich weiß, besitzt er auch moderne Waffen. Militärgewehre und Revolver. Sogar Maschinenpistolen soll er haben.«
»Und alle Waffen sind funktionstüchtig?«
»Möglich.«
»Gut, daß Sie mir davon erzählt haben«, bemerkte ich.
»Wieso? Meinen sie, daß Riley auf uns schießen wird?«
»Ausschließen kann man so etwas nie.«
Der Konstabler warf mir einen raschen Blick zu »Sie halten Riley für verdächtig, wie? Glauben Sie wirklich, daß er der Komplize des Henkers ist?«
»Nicht mehr oder weniger als jeder andere auch.«
»Weshalb dann die genauen Fragen?«
»Ich mache mir eben gern ein Bild von dem Menschen, dem ich bald gegenüberstehen werde.«
»Auch eine Art«, gab Archer zu.
Wir hatten das Zentrum des Ortes verlassen. Über schmale Nebenstraßen steuerten wir dem Ziel entgegen. Randsteine und Bürgersteige waren kaum noch, zu erkennen. Der Schnee hatte sie mit seiner weißen Schicht verborgen.
Menschen waren nur wenige auf der Straße zu sehen. Bei diesem Hundewetter verbog sich jeder in seine Wohnung. Wer jetzt draußen herumlief, war selbst schuld. Wie wir.
Und dann ging es nicht mehr weiter. Ich sah den Grund auch nicht, denn vor der Frontscheibe befand sich eine weiße Schneewand. Schräg klatschten die Flocken gegen die Scheibe. Da der Konstabler die Wischer abgestellt hatte, konnte ich schon bald nichts mehr erkennen.
»Wohnt Riley hier?« fragte ich.
»In der Nähe. Aber wir können nicht weiter. Hier ist der Weg zu Ende. Und bei dem verdammten Schnee kann man kaum etwas sehen. Ich möchte nicht riskieren, irgendwo steckenzubleiben.«
Archers Argument war einleuchtend.
Wir stiegen aus.
Sofort klatschten mir die nassen, schweren Flocken ins Gesicht. Es war Pappschnee. Ein Zeug, das rasch liegenblieb, aber auch schnell wieder wegtaute.
Konstabler Archer ging um die Haube herum. »Kommen Sie, Sir. Ich gehe vor.« Das paßte mir sehr in den Kram. Dieser Konstabler war ein kooperativer Mann. Ich beschloß, ihn in meinem Abschlußbericht lobend zu erwähnen.
Falls es zu einem Bericht überhaupt kommen sollte.
Meine Gedanken beschäftigten sich mit dem Henker. Ich verstand dieses sinnlose Dahinmorden nicht. Rache ist für mich kein Motiv. Aber wann hatten die Kräfte der Hölle schon einmal menschliche Moral mit in die Rechnung gestellt. Nie. Sie hielten sich an andere Gesetze. An die Vernichtung, an das Chaos, an den Schrecken. Für mich unbegreiflich, doch die Mächte der Finsternis fanden immer wieder Helfer, die sich auf ihre Seite ziehen ließ. Geld, Macht, Reichtum – damit lockten sie. Und es gab genügend Dumme, die darauf hereinfielen. Wenn ihnen jedoch, die Rechnung präsentiert wurde, war es zu spät. Da hatte der Teufel ihre Seele bereits in den Klauen.
Gebückt stapfte der Konstabler vor mir durch den Schnee. Seine Füße hinterließen tiefe Spuren, in die ich hinein trat.
Archers Gestalt konnte ich nur in Umrissen wahrnehmen, hörte aber hin und wieder seine Flüche.
Aus dem Schneetreiben schälten sich die Umrisse einiger Ställe und Schuppen. Der Wind heulte um das brüchige Gebälk, fing sich an den Ecken und rappelte an alten Fensterläden. Kniehoch lag die dicke weiße Schicht auf den Dächern der Bauten.
Ich hatte beide Hände in den Manteltaschen vergraben und stemmte mich gegen den Wind und die Flockenwand an. Beinahe wäre ich vor den Konstabler gelaufen, denn er war plötzlich stehengeblieben.
»Da, halbrechts, das Haus, das ist es!«
Ich nickte. Das Haus sah stabiler aus, als die anderen Bauten. Als wir näher kamen, konnte ich feststellen, daß es aus Stein gebaut war.
»Schon uralt, die Kate«, brummte der Konstabler.
Wir gingen auf die Tür zu.
Das Dach stand hier an der Schmalseite etwas vor, bildete einen geringen Schutz gegen die Schneemengen.
Plötzlich wurde etwas vom Wind gegen meine Füße geweht. Vielleicht war ich auch dagegen
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