0014 - Der schwarze Henker
war zu groß. Er hockte in seiner Kammer, stierte in die Flamme des Öllichtes und dachte an Rache.
Er hatte seine Frau über alles geliebt, und der Henker hatte sie ihm genommen, Tränen rannen aus den Augen und benetzten die Handrücken. Am liebsten hätte er sich selbst umgebracht, aber da war noch Tom, sein zweijähriger Sohn. Für ihn hatte er zu sorgen. Tom schlief oben in einem kleinen Zimmer.
O’Casey ging hinauf, kletterte über die schmale steile Stiege. Er hielt ein Talglicht in der rechten Hand.
Behutsam drückte er die Zimmertür auf.
Friedlich lag der kleine Tommy in seinem Bettchen. Nur der blonde Wuschelkopf schaute hervor.
O’Casey kniete sich neben das Bett. Seine Hand fuhr über die lockigen Haare. Tommy bewegte sich im Schlaf. Er murmelte Worte, und er fragte nach seiner Mutter.
O’Casey zerschnitt es fast das Herz. Und wieder einmal stieg der Haß auf den Henker in ihm hoch.
»Verbrennen!« keuchte er. »Man müßte diesen Satan verbrennen. Dann bliebt nichts mehr von ihm übrig…«
Plötzlich spürte er den Windzug in seinem Nacken.
O’Casey drehte sich um.
Da war niemand.
Und doch…
»O’Casey, hörst du mich?«
Der junge Vater sprang auf. »Wer ist da? Wo hast du dich versteckt? Komm raus, du…«
Lachen.
Dann wieder die Stimme, »O’Casey ich friere so. Geh und schaufle mein Grab zu…« Der Henker. Das war der Henker, der gesprochen hatte. O’Casey rann eine Gänsehaut über den Rücken. Angst und bange wurde ihm. Aber der Henker lag in seinem Grab. Er war tot und konnte nicht sprechen. Und doch hatte er…
Da richtete sich der kleine Tommy auf. Verschlafen rieb er sich die Augen, blickte in die Flamme des Talglichts und verzog den Mund.
»Du sollst mein Grab zuschaufeln. Ich friere, O’Casey!«
»Neiinnnn!« brüllte der junge Vater. Er schlug sich mit dem Handballen gegen die Stirn, seine Augen wurden groß vor Entsetzen. Die Worte, die der Henker gesprochen hatte, waren aus dem Mund seines zweijährigen Sohnes gedrungen! Unmöglich… und doch wahr!
In diesen Minuten wurde O’Casey mit der Schwarzen Magie konfrontiert. Er erkannte den Schrecken, der darin steckte, und er begriff, wie wehrlos er ihm ausgesetzt war.
Noch einmal wiederholte sein Sohn den Befehl.
Er drang wie ein Nadelstich in das Hirn des jungen Vaters. Und er trieb ihn an. O’Casey machte auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Zimmer. Die Treppe stürzte er hinunter und verlor das Talglicht. Sofort fing das trockene Holz Feuer, und im Nu stand ein Teil des Treppenhauses in Flammen.
O’Casey kümmerte sich nicht darum.
Er rannte zum Leichenacker. Und er dachte dabei nicht mal an seinen Sohn, sondern sah nur die Aufgabe, die ihm der Henker eingeimpft hatte.
In fiebernder Eile schaufelte er das Grab zu. Und als er damit fertig war, rannte er in den düsteren Wald und erhängte sich dort.
Sein kleiner Sohn wurde von beherzten Nachbarn aus der Flammenhölle gerettet. Die Jahrhunderte vergingen. Kriege durchlebten das Land. Pest und Cholera wüteten.
Menschen starben, andere wurden geboren. Sie hörten von ihren Eltern, was damals geschehen war. Aus den Tatsachen wurde eine Legende, und irgendwann geriet der Henker in Vergessenheit.
Doch vierhundert Jahre später erfüllte sich sein grausamer Fluch. Die Zeitrechnung schrieb das Jahr neunzehnhundertachtundsiebzig. Die Menschen waren aufgeklärter. Die Technik hatte ihr Leben verändert. Die alten Geschichten wurden höchstens noch einmal an langen Winterabenden erzählt.
Die Jungen lachten darüber, doch die Alten warnten. Wie recht sie mit ihren Warnungen hatten, sollte sich schon sehr bald zeigen…
***
Die Menschen in Pitlochry hatten sich nicht verändert. Das schottische Hochland und seine Bewohner besaßen ihre eigenen Gesetze. Sicher, der Ort war größer geworden. Es gab auch neue Straßen, Elektrizität, Autos und Tankstellen, doch irgendwie spürte jeder Fremde, der in den Ort kam, daß die Bewohner anders waren. Verschlossener, in sich gekehrter als andere.
Pitlochry besaß einige Hotels und Pensionen. Der Tourismus hatte auch hier Einzug gehalten. Die reizvolle Umgebung war es, die die Fremden lockte.
Und zu den Fremden gehörte auch Valerie Paine, die zweiundzwanzigjährige Blondine aus London.
Valerie machte drei Wochen Urlaub. Sie arbeitete in London als Sekretärin, und anstatt nach Spanien oder Mallorca zu fliegen, wie es andere Girls in ihrem Alter taten, wollte sie sich in den Bergen erholen.
Das hatte seinen
Weitere Kostenlose Bücher