0015 - Der Morddämon
errichtet wurde. Die Pagode ist mindestens fünfhundert Jahre alt, Professor.«
»Was befindet sich in ihrem Inneren?«
»Die Pagode ist hermetisch versperrt, doch die Gebethalle ist noch mit Möbeln ausgestattet, wie ich hörte. Hin und wieder wird sie ge- öffnet und gesäubert, doch Fremde dürfen nicht hinein, weil das alte Gebäude baufällig ist und man fürchtet, durch einen Einsturz könnte jemand verletzt werden.«
»Ich würde gern bei Tag einmal die Pagode untersuchen.«
»Haben Sie sie denn schon einmal bei Nacht untersucht, Chef?« platzte Nicole heraus. Ihre braunen Augen mit den Goldtupfen waren weit geöffnet. »Was Sie nachts so alles machen… Sie untersuchen uralte Pagoden! Wozu eigentlich?«
»Ich suche Ming-Li.«
Bill Fleming musterte das ernste Gesicht seines Freundes nachdenklich.
»Und du bildest dir ein, ihn in der Pagode zu finden?«
»Ja. Es gibt keinerlei Beweise dafür, aber ich möchte doch von einer Dienststelle, die dafür zuständig ist, die Erlaubnis erwirken, die Pagode zu betreten.« Der Tee wurde serviert. »Wir werden die Pagode morgen untersuchen«, sagte er. »Gleich nach dem Frühstück. Würden Sie uns bitte begleiten, Mr. Siang?«
»Ohne Genehmigung dürfen Sie nicht hinein.« Ein amüsiertes Lächeln umspielte die bartlosen Lippen des jungen Chinesen. »Aber wenn wir uns auf zehn Uhr vormittags einigen, Professor, kann ich sie Ihnen bis dahin besorgen.«
»Das würden Sie wirklich tun? Das wäre großartig!«
»Warum fragen Sie nicht einfach den Inspektor, Chef? Der würde Ihnen die Genehmigung auch sofort beschaffen«, schlug Nicole vor.
»Ich will mich nicht blamieren, Nicole, das ist doch logisch! Zuerst einmal will ich das Innere der Pagode allein – also nur mit euch allen – betreten. Fällt mir etwas auf, ist es immer noch Zeit, den Inspektor zu verständigen.«
»Wovon wollen Sie mich verständigen?« Zamorra fuhr herum.
Hinter ihm stand die hagere Gestalt des Inspektors, die von Zamorras Stuhl aus ganz besonders groß aussah.
»Nehmen Sie Platz, Inspektor. Sie kennen ja alle Anwesenden, nehme ich an.«
Chu Siang führte die Teetasse zum Mund. »Wir kennen uns auch bereits, Professor.«
Der Inspektor ließ sich in einen Sessel fallen.
»Wir brauchen Ergebnisse«, stöhnte er auf. »Solche unglaublichen Fälle sind mir noch nie in meiner ganzen vierzigjährigen Laufbahn vorgekommen. Das Massaker in der Wellington Street hat sich heute wiederholt. In den späten Nachmittagsstunden wurde ein Außenposten im Gebirge – zum Glück nur drei Mann stark – dem Erdboden gleich gemacht. Die drei Leichen…«
Ihm versagte die Stimme.
»So furchtbar, Inspektor?« fragte Bill Fleming.
»Das sind keine Menschen, die so morden«, sagte der Inspektor, blaß werdend, »das sind Tiere, Bestien.«
»Wirkliche Tiere«, sprach Professor Zamorra, »würden nie so grausam morden, Inspektor. Es sind Teufel in Menschengestalt, Dä- monen aus dem Totenreich. Ich habe mit einem gekämpft. Ich habe die Kräfte dieses Wesens, das von einem fremden Willen regiert wird, am eigenen Leib zu spüren bekommen.«
»Ein Dämon hat Ihnen die Verletzungen auf der Brust beigebracht?« schrie Nicole auf. »Und mir haben Sie weismachen wollen, ein wilder Luchs hätte Sie angefallen.«
Zamorra seufzte. »Sie müssen nicht alles so wörtlich nehmen, Nicole.«
»Ich glaube nicht an Dämonen«, behauptete der Inspektor. »Das ist nur der Trick einer organisierten Bande, die hier in der Kronkolonie Unruhe stiften will.«
»Sie glauben also, daß Menschen für das alles verantwortlich sind?«
»Auch Nancy Chaokin wurde so grausam ermordet, und ihr Mörder war der Schotte McTrash.«
»Seine Persönlichkeit war gebrochen worden. Er war, als er die Schauspielerin ermordete, ein willenloses Werkzeug von Ming-Li. Diesen Mann müssen wir finden. Ich bin sicher, daß Sie ihn unter einem anderen Namen kennen. Er lebt hier in Hongkong. Und er hat sich zum Ziel gesetzt, Hongkong zu zerstören und danach die ganze Welt.«
»Ach so…« Der Inspektor kniff die Augen zusammen. »Mit einem Irren haben wir es hier zu tun. Ja, natürlich. Diese Morde sind von Irren ausgeführt worden. Professor, ich muß jetzt bloß nachprüfen, wo einige Wahnsinnige aus einer Anstalt ausgebrochen sind, dann finden wir sie.«
»O Inspektor!« Zamorra seufzte. »Wenn der Fall so einfach läge! Das tut er aber nicht. Glauben Sie mir, die Täter sind keine Menschen. Sie sind auf der Jagd nach Menschenherzen. Noch
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