0015 - Der Morddämon
sind sie Wesen aus dem Totenreich, aber mit einem Menschenherzen in der Brust können sie Menschen werden und eine Art Wiedergeburt erleben. Erkennen Sie jetzt Ming-Lis teuflischen Plan?«
Der Inspektor starrte ihn an. »Es scheint beinahe, Sie glauben diesen Unsinn, Professor?«
»Es ist leider kein Unsinn, Inspektor!«
»Ein Toter ist tot, basta. Es ist unmöglich, ihn wieder zum Leben zu erwecken, überhaupt, wenn schon einige Zeit vergangen ist.«
Der Professor warf dem jungen Chinesen einen warnenden Blick zu. Ihm hatte er erzählt, daß die Toten, die Ming-Li sich als stumme Truppe herangezogen hatte, vor sieben Jahrhunderten gestorben waren. Würde er das dem Inspektor berichten, stände er in dessen Augen noch unglaubwürdiger da.
»Bill«, wandte sich Zamorra an den Freund, »was weißt du von dem Mongoleneinfall im dreizehnten Jahrhundert?«
»Eine Menge. Soll ich dir einen exakten Lagebericht geben? Dschingis-Khan fiel mit seinen Mongolen über das alte Land Cathay – so hieß China damals – her wie ein Taifun. Sie zerstörten alles, was ihnen vor die Finger kam. Sie brannten Dörfer nieder, ließen keinen Mann am Leben, der sich ihnen entgegenstellte. Sie schändeten Frauen und Kinder. Sie hinterließen Jammer und Tränen. Unendliches Leid machte sich breit. Kaum einer ist dem Massaker damals entkommen. Die friedlichen Bürger von Cathay waren auf einen solchen Ansturm der Feinde nicht vorbereitet. Changs Leute kamen über die Berge nördlich von Kanton. Und Kublai Chan, der Enkel des alten Dschingis, war noch tausendmal schlimmer als sein Opa. Diese Eroberungsfeldzüge dauerten Jahre – was sage ich, Jahrzehnte. Sie begannen zwölfhundertsieben und endeten sechsundsiebzig Jahre später. Die Mongolen ruhten nicht eher, als bis sie sich das weite, riesenhafte Land Untertan gemacht hatten. Sie schreckten vor keiner Brutalität, vor keiner Grausamkeit zurück.«
»Die Changs«, sagte der Professor leise, »das sind die Nachkommen dieser Mongolenstämme. Sicher hatten auch die Mongolen hohe Verluste?« fragte er Fleming.
»Natürlich. Als sich die Chinesen von ihrem ersten Schreck erholt hatten, versuchten sie sich zu formieren und wehrten sich mit äu- ßerster Tapferkeit. Aber die meisten waren soldatisch nicht vorgebildet. Es waren Bauern, Händler, Reispflanzer. Sie rannten mit allem, was sie an Waffen finden konnten, blindlings los, um ihr Hab und Gut und ihre Familie zu verteidigen. Viele wurden abgeschlachtet, zerstückelt…«
»Hört auf!« rief Nicole. »Das ist ja widerlich. Müssen wir darüber wirklich sprechen?«
»Es ist zwar hochinteressant«, bemerkte Inspektor Brewster, »und ich habe eine stille Liebe für historische Geschichten, aber mit unserem Fall hat es nicht das geringste zu tun.«
Zamorra tauschte einen Blick mit Chu Siang.
Nicole hatte ihn aufgefangen. »Erzählen Sie doch lieber von sich, Mr. Siang«, lenkte sie ab. »Lebt Ihre Familie auch hier in Hongkong?«
Der junge Chinese verneinte.
»Wir kommen vom Perlfluß«, erklärte er. »Aus Kanton. Aber vor Ausrufung der Volksrepublik flohen meine Eltern nach Hongkong. Damals war ich noch ein Säugling. Wir hatten es sehr schwer, hier Fuß zu fassen. Um es genauer zu sagen: Wir lebten in großer Armut. Als ich aber zwölf Jahre alt war, kam eine geheimnisvolle Geldspende mit der Bedingung, mich studieren zu lassen, und zwar Technik. Ich ging nach England und kehrte als fertiger Ingenieur zurück. Wir vermuten, daß mein Onkel – der älteste Bruder meines Vaters – uns das Geld sandte.«
»So einen Onkel möchte ich auch haben«, erklärte Nicole und lachte. »Lebt er auch hier in Hongkong?«
»Onkel Wu? Nein. Er ist in Kanton geblieben. Ich habe mir so oft gewünscht, seine Adresse zu erfahren, aber vergebens. Wer weiß, ob er noch lebt.«
»Sie sind also ganz allein hier in Hongkong?«
»Durchaus nicht.« Chu lächelte. »Ich bin mit dem tugendhaften Fräulein A Luli verlobt und werde bald heiraten.«
»Wundervoll«, rief Nicole begeistert. Das interessierte sie viel mehr als die gräßliche Story aus dem dreizehnten Jahrhundert. »Erzählen Sie: Wie haben Sie Ihre Braut kennengelernt? Könnte ich sie treffen?«
»A Luli ist Angestellte eines britischen Reisebüros. Wenn das Angebot einer Einladung Sie erfreuen würde, könnten wir ein kleines Dinner in meiner Wohnung veranstalten.« Jetzt sprach er so geschraubt wie ein Chinese alter Prägung.
»Angenommen!« Nicole, war Feuer und Flamme. »Und
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