0017 - Wolfsnacht
ein.
Nicole spürte es unbewußt, als sie den Rücken des Mannes streichelte. Rauhe Haare scheuerten plötzlich an ihren Fingerspitzen. Die Haare wurden immer länger. Und immer noch hatte sie ihre Lippen auf die ihres Gegenübers gepreßt.
Jetzt spürte sie den rätselhaften Haarwuchs auch auf den Schultern ihres Liebhabers.
Das schien sie in die Wirklichkeit zurückzurufen. Sie preßte die Lippen zusammen und stieß den Mann zurück.
Was sie erblickte, ließ das Blut in ihren Adern erstarren. Das war nicht mehr das Gesicht eines Menschen.
Es war ein Wolf, den sie in den Armen hielt!
Nicole wollte schreien, wollte um Hilfe flehen, betete um Erlösung aus diesem Alptraum. Doch Ihre Kehle brachte keinen Ton hervor.
Ein wütender Hieb mit der Pfote ließ Nicole endgültig verstummen. Die Pranke der Bestie traf ihren Kopf und warf sie um. Als sie still dalag, verharrte das Untier für einen Moment.
Es reckte seinen Kopf hoch und starrte den Mond an. Hechelnd ging der Atem des Raubtieres. Es entblößte seine Zähne und ließ sie hörbar aufeinander schlagen.
Dann drehte der Wolf den grauen Schädel und blickte den Berghang über dem Dorf hinauf. Ein Beben durchlief seinen Leib.
Anschließend beugte er sich nieder, packte das Leinenkleid des Mädchens mit den Zähnen, spannte die Nackenmuskeln an und hob Nicole hoch.
Er sicherte noch einmal und verschwand im Gebüsch. In leichtem Wolfstrab, als würde seine Beute kein Gewicht haben, strebte er den Hang hinauf in Richtung der geheimnisumwitterten Höhle.
Eine Herrenkombination, schwarze Hose und weißes Jackett, wurde von den Wellen umspült und schließlich von einer Strömung hinaus auf den See getrieben, wo sie schließlich versank.
***
Zamorra hatte seinen Citroën oben an der Straße geparkt. An einer Tankstelle hatte er Platz gefunden. Jetzt stapfte er über die Ufersteine und wartete auf seinen Gesprächspartner.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß Mitternacht soeben vorüber war. Wieder schaute er sich um. Im Licht des Mondes konnte er seine Umgebung gut erkennen. Doch von einer Person sah er nichts.
Am Strand blieb alles stumm. Keine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit.
Oder doch…?
Weit hinten, etwa fünfzig Meter entfernt, konnte er ein dunkles Bündel auf den Ufersteinen ausmachen.
Behutsam ging Zamorra darauf zu.
»Hallo! Hallo! Hören Sie!«
Zamorra bemühte sich, so leise zu rufen, daß nicht der ganze Campingplatz in Aufruhr geriet.
Das Bündel regte sich nicht.
Immer näher kam der Professor. Die letzten Schritte rannte er. Zu gut wußte er, was die dunkle Lache zu bedeuten hatte, die sich um das Bündel gebildet hatte.
Blut! Und dieses Bündel war ein Mensch… gewesen.
Denn was Zamorra sah, drehte ihm fast den Magen um. Er mußte dreimal schlucken. Die Brust des Mannes, denn das muß er gewesen sein, war völlig zerfleischt.
Doch er lebte noch, das Pulsieren der Lunge zeigte es.
Zamorra bückte sich. Die Lippen in dem blutleeren Gesicht bewegten sich unablässig, als habe der Mann etwas Wichtiges zu sagen.
»Professor? Sind Sie es?« Die Stimme war kaum zu vernehmen.
Jetzt erkannte Zamorra auch, wer das arme Opfer war, das da vor ihm lag. Noch in der Nacht hatte er mit ihm gesprochen, mit dem Nachtportier, der ihn und Nicole eigentlich nicht ins Hotel lassen wollte.
»Ganz ruhig. Ich werde einen Arzt holen. Wer hat das getan?«
Der Mann zeigte in keiner Weise, daß er die Frage verstanden hatte. Trotzdem flüsterte er etwas, was Zamorra wie elektrisiert hochfahren ließ.
»Wölfe… Blut … Der Satan kommt … Medico – er wird ihn rufen…«
Ein letztes Aufbäumen noch, dann lag der Mann starr. Er war endlich erlöst.
Erschüttert stand Zamorra vor dem Toten. Er drückte ihm die Augen zu und dachte nach.
Diesem armen Teufel war nicht mehr zu helfen. Aber die anderen Bewohner? Wenn die Worte des Mannes nun wirklich stimmten?
Denn auch hier mußte so eine Bestie gewütet haben. Anders konnte er sich den Zustand der Leiche vor ihm nicht erklären.
Also was tun? Die Polizei. Das wäre das beste.
Zamorra bückte sich, nahm den Toten auf die Arme und keuchte mit ihm den Hang zur Straße hinauf. Wenige Meter von seinem Citroën entfernt trat er aus dem Gebüsch. Vorsichtig schob er die Leiche des Nachtportiers auf den Beifahrersitz und klemmte sich hinter das Lenkrad.
Auf der Fahrt nach Limone holte er alles aus dem Wagen, was drinnen steckte.
***
Mit laut kreischenden Bremsen kam der Wagen vor der
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