0017 - Wolfsnacht
neigte sich, bis sie wie eine Schranke über dem Altar lag.
Sie veränderte laufend ihre Gestalt. Sie schnürte sich ein und bildete Nebensäulen.
Ein Frauenkopf wurde erkennbar. Gliedmaßen zuckten und regten sich. Nicht lange, und eine menschliche Gestalt hatte sich materialisiert.
Es war die Italienerin Franca Capolli, die auf einmal auf dem Altarstein lag. Das rote Leuchten verflackerte.
Das Mädchen war totenblaß. Ihr Gesicht spiegelte die Schrecken wider, die sie bei ihrer Reise durch die Dämonenwelt gesehen hatte.
Sie schlug die Augen auf. Und plötzlich begriff sie das Grauen, das um sie herum lauerte. Sie schrie verzweifelt auf.
Die Gestalt hinter dem Stein machte eine herrische Bewegung. Sofort verstummte der Schrei.
Dann erfüllte eine urgewaltige Stimme den Felsensaal.
»So höre denn, du armer Erdenwurm. Nichts kann dich mehr retten. Denn du bist für den Fürsten der Hölle bestimmt, den Herren über alles Böse und Schlechte. Ihm kannst du nicht mehr entrinnen. Du wirst sterben. Durch deinen Tod wird es unserer Gemeinde gelingen, Satan persönlich zu uns zu rufen. Darum schrei nicht. Denn eine Braut des Teufels darf keine Angst kennen.«
Mit offenem Mund hatte Franca den grausigen Worten gelauscht.
Und wieder löste sich ein wilder Schrei von ihren Lippen.
Jäh ließ die Gestalt einen Arm niedersausen. Mit einem dumpfen Geräusch traf er den Körper der Armen.
Sie bäumte sich noch einmal auf, dann lag sie still. Schweißtropfen versickerten in ihrem Haar.
»Gut so, meine Tochter. So ist es gut.«
Die Gestalt kicherte böse. Dann erwachte sie zu hektischer Geschäftigkeit. Aus einer Ecke der Höhle holte sie einige Stricke und fesselte die Gefangene auf dem Altar.
Dann kniete der Geheimnisvolle nieder und versank in tiefe Meditation.
Wie Fangarme eines unheimlichen Raubtieres tasteten sich seine Gedanken hinunter ins Tal, in den Ort hinein, wo sie ein neues Medium suchten.
***
Der Polizeigewaltige von Limone, Giorgio Diani, hatte schlecht geschlafen. Schreckliche Alpträume quälten ihn. Unruhig wälzte er sich in seinem Bett hin und her.
Etwas Unbekanntes, Grauenvolles schien in sein Gehirn eindringen zu wollen. Verzweifelt wehrten sich seine Gedanken. Doch es war vergeblich. Nichts konnte die fremde Macht aufhalten.
Von einem inneren Zwang getrieben, erhob sich Giorgio Diani von seinem Bett. Seine Frau schlief fest. Mit einem leisen Seufzer drehte sie sich auf die andere Seite.
Diani schenkte ihr keine Beachtung. Zielsicher ging er aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, öffnete einen Schrank, holte Hemd und Hose heraus und zog sich an.
Kurz darauf verließ er das Haus und eilte durch die leeren Straßen aus dem Ort hinaus. Mit langen Schritten lief er über die nachtdunkle Straße, bis er einen Pfad fand, der zur See hinunter führte.
Er schaute sich um. Dann verharrte er, als würde ihm jemand einen Befehl geben. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung.
Lautlos schob er sich durch das Wasser. Völlig geräuschlos näherte er sich dem Badestrand, der zum letzten Campingplatz des Ortes gehörte.
Dort angelangt, lenkte er seine Schritte wieder aufs Trockene. Er blieb einen Augenblick aufrecht stehen, dann brach er in die Knie.
In dem Moment schob sich die Wolke weiter, die den Mond noch verdeckt hatte. Der Strand wurde in bleiches Licht getaucht.
Zuckend lag der Polizeikapitän auf dem Ufergeröll. Sein Körper wand sich. Der Kopf wurde lang. Aus der menschlichen Nase wurden die witternden Nüstern eines Raubtieres.
Graues Fell sproß auf den Handrücken. Die Ohren wurden spitz und zuckten, lauschten in die Nacht.
Die Kleider schlotterten um den Körper, der dem eines riesigen Hundes glich. Mit einer eleganten Bewegung streifte das Tier, das einmal Giorgio Diani gewesen war, die Fetzen ab.
Schnüffelnd schlich das wolfsähnliche Tier über den Strand. Es blieb stehen, reckte den Kopf und stieß ein bösartiges Knurren aus.
Im denkfähigen Teil seines Gehirns gellte ein Schrei. »Töte! Töte!«
Mit einem langen Satz streckte sich der Wolf und verschwand lautlos in einem Gebüsch.
Nur die glühenden Punkte seiner Augen waren noch zu sehen.
Und die überblickten den Strand und lauerten auf das Opfer, das jeden Augenblick erscheinen mußte. Die fremde Stimme in seinem Gehirn hatte es ihm versprochen.
Seine Gier wuchs und ließ sich kaum bändigen…
***
Tonio, der Nachtportier aus dem Hotel Garda, saß auf einer niedrigen Mauer am Strand von Limone. Angestrengt horchte
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