002 - Der Hexenmeister
Das Bild war sehr gut gelungen und von vollkommener Ähnlichkeit. Eines Abends hatte ich ihn in seinem Atelier besucht. Es befand sich in einem schönen großen Einfamilienhaus vor den Toren von Paris. Er hatte von einer wichtigen Aufgabe gesprochen, der sich einige seiner Freunde widmeten, und er hatte mich gefragt – nachdem ich geschworen hatte, keiner Menschenseele etwas davon zu verraten – ob ich Lust hätte, mich ihnen anzuschließen. Er hatte mir jedoch keine näheren Einzelheiten verraten wollen.
»Das darf nur der Meister tun«, sagte er, »wenn er dich für würdig befindet, einer der Unseren zu werden. Ich bin überzeugt, dass er dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen wird.«
Ich hatte es mir genau überlegt. Die Neugier und auch ein gewisser Drang, mich einer würdigen Aufgabe zu widmen, hatten mich dazu gebracht zuzusagen. So kam es, dass wir uns nun hier vor den Toren der Stadt getroffen hatten, Eine Weile fuhren wir schweigend dahin. Plötzlich kamen mir Zweifel.
»Sag, Lionnel«, fragte ich, »bist du auch wirklich derselbe, mit dem ich ein Motorboot gekauft habe?«
»Ja, natürlich. Vor einer Stunde haben wir noch zu viert in deiner Wohnung zu Abend gegessen. Aber ich fange an, meine Existenz im 20. Jahrhundert zu vergessen und nur noch der Lionnel des 15. Jahrhunderts zu sein.«
»Wir erleben das also wirklich.«
»Na, sieh dir doch nur das Pferd an, die Bäume, die Sonne. Nichts davon ist nur geträumt. Alles ist Wirklichkeit. So, und jetzt muss ich dir leider die Augen verbinden und eine Kapuze über den Kopf ziehen, denn du darfst nicht sehen, wo ich dich hinbringe. Später wirst du es schon erfahren.«
Dann erlebte ich das gleiche wie eine Woche zuvor Hervé. Ich wurde von dem ehrfurchtsgebietenden alten Mann empfangen, der mir viele Fragen stellte. Während wir uns unterhielten, erschien Laura einen Augenblick, und das genügte, um mich sofort heftig in sie zu verlieben. Es war Liebe auf den ersten Blick, und alles geschah so, als hätte ich sie nie vorher gesehen, weder lebend noch tot.
Dann führte mich der alte Mann, genauso wie er es mit Hervé getan hatte, in ein dunkles Zimmer, in dem ich meine Gedanken sammeln sollte. Während jedoch Hervé in diesem Augenblick in meine Wohnung zurückversetzt worden war, ging es mir nicht so. Ich blieb dort, bis der alte Mann nach etwa einer Stunde wiederkam.
»Nun, mein Freund«, sagte er lächelnd, »hat sich Euer Entschluss gefestigt, oder möchtet Ihr doch lieber darauf verzichten, einer der Unseren zu werden? Noch habt Ihr die Wahl. Wenn Ihr lieber zurückgebracht werden wollt nach Paris, ohne mehr zu erfahren, so bin ich Euch keineswegs böse. Ihr habt versprochen, über alles zu schweigen, und das genügt mir. Wenn Ihr aber in unsere Gemeinschaft aufgenommen werden wollt, dann sage ich Euch, wer ich bin und wo Ihr seid. Danach beginne ich sogleich mit Eurer Einweisung, damit Ihr bald zu unserer Gemeinschaft gehören könnt. Lasst mich Euch nochmals darauf hinweisen, dass unsere Unternehmungen gefährlich sind. Ihr könnt dabei unter Umständen das Leben verlieren – oder den Verstand. Doch ich glaube, dass Ihr ein Mensch seid, der allen Belastungen standhalten wird, die ich Euch auferlegen muss. Wahrscheinlich werdet Ihr sogar eine große innere Befriedigung durch unser gemeinsames Werk gewinnen. Unsere Ziele sind hochgesteckt, und sie entsprechen der Gesinnung eines ehrenhaften und menschlich denkenden Mannes. Also, wie lautet Eure Antwort?«
Mein Entschluss hatte schon vorher festgestanden. Ich glaube nicht, dass meine spontane Zuneigung zu dem blonden Mädchen und der Wunsch, sie wieder zu sehen, bei meiner Entscheidung eine Rolle spielten. Sie trugen allerdings dazu bei, in diesem Entschluss nicht wankend zu werden.
»Meine Antwort lautet Ja«, erwiderte ich. »Gern möchte ich in die Gemeinschaft aufgenommen werden.«
Ein strahlendes Lächeln erhellte die Züge des alten Mannes. Er führte mich in sein Zimmer zurück, bat mich Platz zu nehmen und setzte sich an seinen großen Arbeitstisch.
»Das habe ich mir gleich gedacht«, sagte er, »und ich freue mich sehr über Eure Entscheidung. Nun will ich Euch erklären, welches unsere Ziele sind, was wir tun, und was wir zu erreichen hoffen. Zunächst will ich Euch sagen, wer ich bin und wer die anderen sind, in deren Gemeinschaft Ihr eintreten werdet. Einige von ihnen kennt Ihr ja bereits.«
»Das habe ich mir schon gedacht.«
»Ich bin der Leiter der Gemeinschaft, die ich auch
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