002 - Der Safe mit dem Rätselschloß
aufgeweichte Heideflächen ging die Fahrt und durch ausgestorbene Dörfer, deren kleine Häuschen einen Augenblick im hellen Licht der Scheinwerfer auftauchten und dann wieder im Dunkel versanken. Nur zu bald kam sie in eine wohlbekannte Gegend, und das Auto verlangsamte seine Geschwindigkeit, um nicht an dem kleinen Grasweg vorüberzufahren, der zur Flairby-Mühle hinführte. Schließlich fanden sie den Weg, und das Auto schuckerte vorsichtig über tiefausgefahrene Wagengeleise, über herumliegende Steine und durch langes regennasses Gras, bis im Dunkel der Nacht die gedrungenen Umrisse der Flairby-Mühle sichtbar wurden.
Es gab einst eine Zeit, ehe die billigen Maschinen kamen, da die Flairby-Mühle in der ganzen Gegend berühmt war und das Rumpeln und Poltern ihrer schweren Mühlsteine Tag und Nacht erklang. Aber schon lange lag das Rad zerbrochen im Bett des kleinen Baches, der ihm so treu gedient hatte. Die Maschinen waren verrostetes altes Eisen, und nur das benachbarte winzige Wohnhaus hatte noch einigen Wert. Ein paar kaum nennens werte Reparaturen genügten, um das Haus wasserdicht und wetterfest zu erhalten, und hier hatte Kathleen allen überflüssigen Kram aus ihres Vaters Haushalt aufgespeichert. Die Sättel, Schilde, Speere und andere Kuriositäten, die er auf seinen Reisen gesammelt, und die bescheidene Bibliothek, die ihn in den bitteren Jahren seines Sterbens getröstet hatte, all das war hier aufbewahrt. Wertlos in dem Sinn, wie die Welt Werte schätzt, aber in den Augen des jungen Mädchens kostbare Dinge, Erinnerungen an den toten Vater.
Die Tränen stiegen ihr in die Augen, als ihr Spedding den Schlüssel aus der Hand nahm und ihn ins Schloß der altmodischen Haustür steckte, aber sie wischte sie verstohlen weg.
Spedding benutzte eine Taschenlampe, um sich im Haus zurechtzufinden. »Sie müssen mich führen, Fräulein Kent«, sagte er, und Kathleen zeigte ihm den Weg. Die eichene, staubbedeckte Treppe hinauf gingen die beiden, und ihre Tritte hallten hohl durch das verlassene Haus. Am Ende der Treppe befand sich eine schwere Tür, die der Anwalt auf Geheiß des Mädchens öffnete.
Sie traten in ein riesiges scheunenartiges Zimmer mit schräggeneigter Balkendecke. Es hatte drei jetzt durch Läden verschlossene Fenster und am anderen Ende eine zweite Tür, die in ein kleineres Zimmer führte.
»Dies war die Wohnstube des Müllers«, sagte Kathleen traurig. Sie konnte sich noch auf die Zeit besinnen, als ein Müller auf dem Hofe lebte und sie mit ihrem Vater vor die Mühle geritten kam. Dann hatte der Müller, weiß und freundlich, sie vom Pferd gehoben und durch einen geheimnisvollen Raum geführt, wo große Steine polternd sich emsig drehten und die Luft von feinem weißen Staub erfüllt war.
Spedding ließ seinen Blick suchend durchs ganze Zimmer schweifen. Die Bücher waren nicht schwer zu entdecken: Man hatte sie ausgepackt und in drei unordentlichen Reihen auf flüchtig zusammengebauten Regalen aufgestellt. Der Anwalt hielt die Lampe so, daß der volle Lichtschein auf die Bücher fiel. Dann prüfte er sie sorgfältig, Reihe für Reihe. Aufmerksam kontrollierte er jedes Exemplar, und von jedem Band, der ihm in die Hand kam, murmelte er halblaut Titel und Namen. Da gab es Schulbücher, Reisebeschreibungen und ab und zu ein dickes wissenschaftliches Werk, denn Kathleens Vater hatte sich besonders eingehend mit Naturwissenschaften beschäftigt. Die eine Hand auf den Tisch gestützt, sah das junge Mädchen zu und bewunderte die Geduld, welche der freundliche, gewissenhafte Mann auf seine Arbeit verwandte. Allerdings fragte sie sich heimlich etwas erstaunt, welche Notwendigkeit für diese mitternächtliche Untersuchung bestehe. Sie hatte dem Anwalt nichts von dem roten Kuvert erzählt, aber instinktiv fühlte sie, daß er von alledem wußte.
»Anabais, Xenophon«, murmelte er; »Josephus Leben und Werke; Elias Essays; Essays Emerson; Essays, De Quincey. Was ist das?«
Zwischen zwei umfangreichen Bänden zog er ein dünnes kleines Buch in einem verschossenen Einband hervor. Sorgfältig reinigte er es vom Staub, warf einen Blick auf den Titel, schlug es auf und las die Titelseite. Dann trat er zum Tisch, setzte sich und begann im Schein der Taschenlampe das Buch zu lesen.
Das junge Mädchen wußte nicht recht, wie es kam, aber es lag in diesem Augenblick etwas in seiner Haltung, das ihr leichtes Unbehagen verursachte und ein Gefühl von Gefahr in ihr weckte. Vielleicht, weil er bis dahin
Weitere Kostenlose Bücher